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Archiv-Artikel

Erfolgsneurotisch

betr.: „Funkelnde Scherben. Der Autor und sein Preis“ von Wilhelm Genazino, taz vom 23. 10. 04

Die Literatur schwimmt, wen wundert es, im Fahrwasser der Event- und Verkaufsgesellschaft. Paukenschläge, Promi-Beichten und Preisträger. Der ganze Kulturzirkus, flankiert mit etwas arabischer und afrikanischer Exotik, ist bestimmt von den Regeln des Geschäfts: Auffallen um jeden Preis. Literatur ist schon längst nicht mehr Muße, sondern Kampfzone. Die Massenprodukte begraben die funkelnden Wortscherben unter Bergen von Papier, welches, so die Hoffnung, besser nie bedruckt worden wäre. Genazino wirft die Frage des Scheiterns auf. So wie jeder Schriftsteller, sofern er nicht völlig verblendet, sich mit diesem Umstand auseinander setzt, wäre diese Frage ebenso an den Kulturbetrieb zu richten. Denn Autoren zum Erfolg zu verdammen, sie in die Erfolgsneurose zu treiben, bedeutet letztendlich, der Literatur ihre Wurzeln zu kappen. Damit aber raubt man ihr den Mut, kreativ zu sein und mit Gedanken und Ideen zu experimentieren. Schriftsteller werden so zu Handlangern klingender Münze. Oder wie Arundhati Roy es beschrieb: Schriftsteller als Hofnarren des Profits. Für diesen Fall wäre, um mit Genazino zu sprechen, echte Verlegenheit angebracht. Und dies gilt sowohl für den Kulturbetrieb als auch für den Schriftsteller.

STEFAN DERNBACH, LiteraTour Siegen