Erfolgreiche Gentech-Proteste: Gentechniker geben Feldbefreiern nach
Sieg für die Gegner gentechnisch veränderter Pflanzen: Mit ihren Protestbriefen und Feldbesetzungen bringen sie Wissenschaftler dazu, auf Freilandversuche zu verzichten.
BERLIN taz Wer in Deutschland Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen durchführen will, hat es zunehmend schwerer. Alleine im vergangenen halben Jahr haben vier Institute und Hochschulen ihre Versuche eingestellt, zurückgezogen oder nicht verlängert. Auch die Zahl der neuen Freilandexperimente ist mit sechs genehmigten Versuchen auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der Forschungen in den 90er-Jahren.
Eine der Hochschulen, die ihre Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen eingestellt hat, ist die Fachhochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. "Wir hatten extremste Proteste und zwar schon über Jahre", begründet der Rektor Werner Ziegler die Empfehlung der Hochschulleitung. Die Debatte angestoßen hätten vor allem die Bedenken der Anwohner. "Teilweise gab es 20 E-Mails in zwei Tagen." Eine Feldbesetzung von Gentechnik-Gegnern im April habe dann das Fass zum Überlaufen gebracht. Ziegler berichtet auch von persönlichen Anfeindungen, vor allem gegen den durchführenden Wissenschaftler Andreas Schier. Daher habe man ihm letzten Endes die Einstellung der Freilandforschung nahegelegt. "Wir wollten Schaden von der Hochschule abwenden", sagt Ziegler.
Schier selbst gibt an, von der Entscheidung der Hochschule überrascht worden zu sein. Die Bedenken der Anwohner und auch der Biobauern, die sich gegen den Anbau wehren, sieht er nicht, schließlich sei das Miteinander verschiedener Anbauformen "prinzipiell möglich und gesetzlich zugesichert". Die Hochschule hat die Forschung zunächst für fünf Jahre ausgesetzt.
Anders als Schier erhielt Winfriede Weschke, Wissenschaftlerin am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturforschung (IPK) in Gatersleben, keine Briefe von besorgten Bürgern. Das Institut baute in einem mehrere Jahre umfassenden Versuch Winterweizen an. Das Ziel: bestätigen, dass sich mittels Gentechnik der Eiweißgehalt von Weizen ohne Ernteverluste erhöhen lässt. Am 30. Juni kommenden Jahres sollte der Versuch abgeschlossen sein. Doch dazu wird es nicht kommen: Im April zerstörten Gentechnik-Gegner das Feld. Proteste aus der Bevölkerung gab es auch hier. Denn in Gatersleben befindet sich eine Genbank mit Samen von knapp 150.000 Nutzpflanzensorten aus aller Welt.
Weschke sieht neben ihrem wissenschaftlichen Verlust auch noch eine andere Folge der Feldzerstörung: die Förderung, die immer problematischer wird. "Ich weiß nicht, wie sich ein Geldgeber zu der Möglichkeit stellt, dass er sein Geld wieder in den Sand setzt", sagt Weschke. Das Land Sachsen-Anhalt hatte den Versuch finanziell unterstützt - "und nun seine Mittel in den Sand gesetzt". Sie glaubt nicht daran, bei einem Folgeantrag hohe Erfolgschancen für eine Förderung zu haben.
Schier weist darauf hin, dass gerade junge und spezialisierte Wissenschaftler ins Ausland gehen würden. Weschke erwägt das derzeit nicht. Doch Roland Schnee, Pressesprecher des IPK, bestätigt, dass es grundsätzlich die Überlegung gebe, Versuche im Ausland durchzuführen. Vor allem Südamerika komme für entsprechende Kooperationen in Frage.
Das gentechnikkritische Umweltinstitut München begrüßte die Entwicklung. Jetzt zeige der Widerstand aus weiten Teilen der Bevölkerung seine Wirkung. Vorstand Harald Nestler forderte auch eine gentechnikfreie Region in und um Gatersleben - dafür einsetzen solle sich das IPK.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr