Erfolg im Slalom: Grimms Gold-Märchen
Endlich! Der Slalom-Kanute Alexander Grimm hat im Wildwasserslalom die Goldmedaille gewonnen. Teamkollege Benzien blieb dagegen stecken.
PEKING taz Dienstag, 17.43 Uhr Pekinger Zeit stieg er aus dem Boot und trat an Land. Er schaute etwas verdattert, als wisse er nicht, was vor sich geht. Alexander Grimm hatte definitiv noch nicht kapiert, was ihm da gerade im hufeisenförmigen Wildwasserkanal geglückt war. Der Kajak-Fahrer aus Augsburg hatte den Slalom-Parcours im Kanupark Shunyi am Ufer des Flusses Chaobai als Schnellster durchkurvt. Nach dem ersten Lauf war er noch auf Platz vier geführt, mit einer kraftstrotzenden zweiten Paddeltour durch das reißende Gewässer mit 21 Hindernissen, die zum Teil gegen die Strömung zu durchfahren waren, schob er sich auf Platz eins: olympisches Gold. Das erste für das 435 Athleten starke deutsche Team.
Natürlich sagte der 21-Jährige nachher den Satz, den alle in so einer Situation sagen: "Ich kann es kaum fassen, ich muss das erstmal sacken lassen." Er war sichtlich entrückt. Freunde und Betreuer mussten ihn ermuntern, sich zu freuen und die Fahne zu schwenken. "Ich habe einfach nicht geglaubt, dass ich so weit nach vorne fahre", sagte er.
Dabei hatte er genau das richtige Rezept gefunden, um in diesem Kanal zu reüssieren. "Solide fahren" - das war das Geheimnis. Denn ausgesprochen tückisch war der gischtspuckende Wasserschlauch im Nordwesten Pekings. "Wenn man hier versucht, zu viel zu riskieren, kann es schiefgehen. Das Wasser schiebt sehr stark, ein paar Favoriten haben überpaced - und verloren." Zum Beispiel der deutsche Medaillenkandidat im Canadier, Jan Benzien aus Leipzig. Er wurde ein Opfer der gefürchteten Wasserwalze hinter Tor vier.
Benzien steckte im ersten Lauf plötzlich drin im Strudel. Es ging nicht vorwärts und nicht rückwärts. Er konnte in seinem Boot paddeln wie er wollte, für entscheidende Momente war er gefangen. Im Bermuda-Dreieck des Pekinger Wildwasserkanals ging sein Traum von einer olympischen Medaille unter, war verschwunden in den rauschenden Fluten. "Am Tor vier bin ich zu eng rausgefahren, ich hatte zu viel Rücklage." Nur zehn Zentimeter waren es, die Jan Benzien in die vertrackte Situation bringen sollten, eine lächerliche Kleinigkeit. Die Auswirkungen waren freilich fatal.
"Die Walze hat mich gepackt, ich habe versucht zu entkommen, aber sie hat mich nicht losgelassen. Hier habe ich das Rennen verloren", sagte er hinterher und war gar nicht so enttäuscht, wie man das annehmen würde von einem Randsportler, der geschlagene vier Jahre auf den olympischen Höhepunkt zuarbeitet und dann an lächerlichen zehn Zentimetern scheitert. Er kam nicht einmal ins Finale der besten zehn Paddler. "Ich hoffe, ich bleibe im A-Kader", sagte Benzien nachher. Es war einer dieser olympischen Augenblicke, die sich ins Gedächtnis gescheiterter Athleten einschreiben. Benzien hatte sich vor vier Jahren nicht für die Olympischen Spiele in Athen qualifizieren können, jetzt war er zwar dabei, hat es aber "verkackt", wie er sagte.
Er kann sich nun von seinem Mannschaftskollegen Grimm Mut machen lassen. Der Paddler aus Bayern hat wohl auch gewonnen, weil sein Heimtrainer nach langen Querelen und einem Bittbrief an Thomas Bach, Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), doch noch vor Ort war. Das hat Grimm Sicherheit gegeben. "Er kennt mich seit Jugendtagen, der weiß genau, wenn irgendetwas bei mir nicht stimmt." Thomas Apel, 35, hatte zwar keine offizielle Akkreditierung vom Sportbund bekommen, aber er wusste sich zu behelfen. Mit einem geborgten Pass eines gewissen "Sebastian Piersig", der Apel auf dem Passfoto verblüffend ähnlich sah, stand er im Zielbereich und rühmte die "mentale Konnektivität" zwischen sich und seinem Schützling. Der sagte, er sei "wie im Flow" gepaddelt. "Ich habe mich am Start befreit gefühlt. Dieser Sieg ist eine Kopfsache gewesen", so der Olympiasieger.
Alexander Grimms Erfolg hat eine gewisse Logik, denn die heimische Konkurrenz in Deutschland ist immens stark. Der WM-Zweite Fabian Dörfler und der Weltcup-Sieger des Jahres 2006, Erik Pfannmöller, mussten zu Hause bleiben. Die beiden haben es am Fernseher verfolgt: Grimms Märchen.
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