Erfolg für Fridays for future: Sieg bei Klimaklage in Estland
Der Oberste Gerichtshof widerruft eine Baugenehmigung für eine treibhausgasintensive Schieferölraffinerie. Doch noch ist das Projekt nicht gestoppt.
Die RichterInnen bemängelten vor allem Fehler bei der Umweltverträglichkeitsprüfung der Fabrik des staatlichen Energiekonzerns Enefit. Bei der Prüfung seien die Auswirkungen auf ein Vogelschutzgebiet, das Teil des EU-weiten Natura-2000-Netzwerks ist, „völlig unterschätzt“ worden.
Auch seien Fehler bei der Bewertung der umweltschädlichen Auswirkungen der mit Phenol verschmutzten Abwässer der Anlage gemacht worden. Auch die Folgen des Betriebs der Fabrik für die Treibhausgasbilanz Estlands seien nicht ausreichend beachtet worden.
Allerdings hielt das Gericht die von der Genehmigungsbehörde angestellten Überlegungen zu den Klimafolgen – und das hatte die Fridays-Klage vor allem bestritten – unter Berücksichtigung der damit verbundenen Unwägbarkeiten für gerade noch „vertretbar“. Zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung sei das verbindliche Klimaziel der EU lediglich gewesen, die Treibhausgasemissionen der Staatengemeinschaft insgesamt bis 2030 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken.
Gericht: Klimaziele auch mit Raffinerie erreichbar
Estlands Parlament hatte seinerzeit als Zielmarke festgelegt, die Klimagasemissionen des Energiesektors bis 2030 um 70, bis 2040 um 72 Prozent und bis 2050 um 80 Prozent, jeweils im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Es erscheine gegenwärtig nicht unmöglich, diese Ziele auch mit dem Betrieb der neuen Raffinerie zu erreichen, so das Gericht.
Das aktuelle Urteil dürfte den Bau vermutlich nicht stoppen, sondern nur verzögern. Der Gerichtshof räumte den zuständigen Behörden nämlich die Möglichkeit ein, unter Berücksichtigung der Einwände des Gerichts eine neue Baugenehmigung zu erteilen. Weshalb Enefit schon kurz nach dem Urteil am Mittwoch ankündigte, man werde natürlich nachbessern, um die Anlage fertigbauen zu können.
Bei „Fridays for Future Estland“ glaubt man aber noch einen Trumpf in der Hand zu haben. Nach ihrer Fertigstellung brauche die Anlage eine Betriebsgenehmigung. Für diese würden dann aber nicht mehr die Klimaziele von 2019, sondern die mittlerweile verschärften aktuellen Werte gelten.
Regierung soll Klimaziele erfüllen
Eine rechtliche Einschätzung, die Heiki Loot, Richter am Obersten Gerichtshof gegenüber Medien grundsätzlich bestätigte. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Anlage noch mit diesen Klimazielen im Einklang steht“, meint Kertu Birgit Anton von „Fridays“: Selbst wenn die Raffinerie eine neue Baugenehmigung erhalten sollte, wäre es eher unwahrscheinlich, dass auch der Betrieb genehmigt werde. Falls doch, wäre dies ein Grund für eine neue Klage.
Über den aktuellen Fall hinaus verpflichtet der Oberste Gerichtshof die Regierung in Tallinn in seinem Urteil auch ausdrücklich, die Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen zu erfüllen und „rechtzeitig einen realistischen und rechtsverbindlichen schrittweisen und sektorbezogenen Emissionsverteilungsplan zur Erreichung der Klimaneutralität“ zu erstellen. Estland ist bislang eines der wenigen EU-Länder, die noch kein Klimagesetz haben.
Ein Grund für dieses Zögern dürfte die Frage der Zukunft der Ölschieferbranche im Land sein. Die heimische Stromproduktion beruhte zuletzt rund zur Hälfte auf der Verbrennung von Ölschiefer, der umweltschädlichsten und ineffektivsten Methode, um mit der Verfeuerung fossiler Brennstoffe Elektrizität zu produzieren. Im vergangenen Jahr betrug dieser Anteil sogar 57 Prozent. Die Stromproduktion aus Ölschiefer stieg um 42 Prozent.
In der Handelsbilanz des Landes nehmen der Export von Elektrizität und Raffinerieprodukten, die aus Ölschiefer gewonnen werden, die vordersten Plätze ein. An dieser Branche hängen auch Zehntausende Arbeitsplätze im strukturschwachen Nordosten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Frauenfeindlichkeit
Vor dem Familiengericht sind nicht alle gleich