Erfahrungen beim Zalando-Aktien-Kauf: „Ganz schön mutig!“
28,1 Millionen Aktien des Online-Modehändlers Zalando wurden ausgegeben. Eine davon hat die Autorin gekauft. Und das war nicht einfach.
„Die Kundin hier will Zalando-Aktien kaufen, aber nur eine.“ Mit diesen Worten verweist man mich an eine Bankangestellte im eleganten schwarzen Kostüm. Die Dame mustert mich durch ihre Brille. Mit einem Blick, der mich eindeutig für dämlich bis debil hält. Es ist Mittwoch, der 1. Oktober, fünf Minuten vor elf. Der Online-Modehändler Zalando ist seit knapp zwei Stunden an der Börse.
Die Aktie von Zalando, sie wird die erste sein, die ich mir jemals gekauft habe. Ein Wertpapier, über das seit Wochen alle gesprochen haben. Die Warnungen waren nicht zu überhören. „Sowohl die Chancen als auch das Verlustrisiko sind bei einem Kauf der Zalando-Aktien hoch“, sagte Anlegerschützer Daniel Bauer am Tag vor Zalandos Börsengang zur taz. Man dürfe Zalando nicht überschätzen. Auf dem Börsenportal finanzen.net rieten Experten, die Finger von Zalando-Wertpapieren zu lassen.
„Mit viel Marketingaufwand wurde das Geschäftsmodell bei Zalando so hingebastelt, dass es kurzfristig zum Börsengang einigermaßen funktioniert“, sagt Wirtschaftsprofessor Max Otte. Er rät grundsätzlich von Neuemissionen, also neuen Wertpapieren an der Börse, ab. Und ganz besonders von der Zalando-Aktie. Immerhin, Stefan Wimmer, Analyst des Bankhauses Metzler, hält Zalando „für etwas Besonderes“ und sieht „Potenzial, dass die Profitabilität in den kommenden Jahren deutlich steigt“.
Jede Menge Expertise. Aber statt immer nur drüber zu reden, wie sich die Kurse entwickeln und was es für wen bedeutet, will ich einfach mal mitspielen. Ausprobieren. Und so stehe ich nun also in der Bankfiliale in Berlin-Mitte und will meine Aktie kaufen. Für 21,50 Euro – so der Ausgabepreis. Die Bankangestellte erklärt mir, dass es keine Beratung gäbe, wenn man nur eine einzige Aktie kauft. Und dass sich die Geldanlage für mich nicht lohne, weil ich für An- und Verkauf meiner Aktie mehr bezahlen müsste, als sie im Moment wert ist. Der Kurs der Zalando-Aktie ist inzwischen auf 24,10 Euro geklettert. Um sie kaufen zu können, würden bei der Bank zusätzliche 15 Euro Gebühren anfallen. Um sie wieder abzustoßen, nochmals 15 Euro.
Peanuts, wenn man Großaktionär bei Zalando wäre. So wie die schwedische Risikokapital-Beteiligungsgesellschaft Kinnevik, der 35,6 Prozent der Anteile gehören. Die drei Brüdern Oliver, Marc und Alexander Samwer, deren Geschöpf Zalando im Grunde ist, besitzen immerhin 16,7 Prozent. Anders Holch Povlsen, Leiter des dänischen Textilhandelsunternehmens „Bestseller“, hält 10,5 Prozent.
Für Jungaktionäre kostenlos
Gründermythos: David Schneider und Robert Gentz gründeten die Firma 2008. Unterstützt wurden sie dabei von Rocket Internet, der Start-up-Brutstätte der Internetunternehmer Oliver, Alexander und Marc Samwer. Als Vorbild gilt das US-Unternehmen Zappos.
Zalando in Zahlen: Über 6.000 Angestellte, 150.000 Artikel, aktiv in 16 Ländern, 1.500 Modemarken von Schuhen über Kleidung bis Accessoires. Rund jeder zweite Artikel, den Zalando verkauft, wird zurückgeschickt.
Börsengang: Zum Start an der Börse war Zalando in etwa so viel wert wie die Lufthansa: 5,8 Milliarden, also 420 Euro pro Onlineshoppingkunde. (mstr, dpa)
Entwickelt sich die Zalando-Aktie gut, werden sie alle profitieren. Genau wie ich auch – in homöopathischer Dosis. Zalando, das hat einmal ganz klein begonnen – vor sechs Jahren, in einem Keller in Berlin-Mitte. Von hier aus begannen David Schneider und Robert Gentz Flipflops zu verkauften. Mithilfe des Samwer-Brüder-Inkubatoren Rocket Internet wurde die Firma aufgepäppelt und kam so groß raus, dass heute angeblich fast 95 Prozent aller Deutschen die Marke kennen. Im ersten Quartal 2014 steigerte Zalando seinen Nettoumsatz auf 501 Millionen Euro. Lange schrieb die Firma rote Zahlen – bis kurz vor dem Börsengang.
Ich könne mir online ein Wertpapierdepot eröffnen, sagt die Bankberaterin. Dann müsse ich aber selbst sehen, wie ich mich „durchwurstle“. Mit der Logik von „survival of the fittest“ wurstelt man sich im Leben schon zur Genüge allein durch, denke ich mir. Das brauche ich nicht auch noch mit meiner einen Aktie. Ich gehe zu Bank Nummer zwei. „Ein Wertpapierdepot. Das müssen Sie sich wie eine große Lagerhalle vorstellen.“ Der Bankberater spricht angestrengt langsam. „Diese große Halle mieten Sie und bezahlen pro Monat Gebühren.“ Die Lagerhalle koste immer gleich viel, egal wie viele Aktien ich „da reinstelle“, darum lohne sich eine einzige nicht.
Bei Bank Nummer drei heißt die „Lagerhalle“ Wertpapierdepot und ist für Jungaktionäre kostenlos. Ich bekomme einen betont vertrauenswürdigen Händedruck und einen Termin für in drei Stunden. Inzwischen ist die Aktie knappe sechs Stunden an der Börse und fällt. Die allzu freundliche Bankberaterin findet mich „ganz schön mutig“. Ich komme mir nicht besonders waghalsig vor. Es ist zwar meine erste Aktie, aber nicht das erste Mal, dass ich 20 Euro schlecht investiere.
21,0601 Euro
Die Bankangestellte eröffnet mir in betont lockerem Ton ein kostenloses Einsteiger-Wertpapierdepot. Für An- und Verkauf der Aktie bezahle ich ein Prozent des Aktienwertes. Je länger der Termin dauert, umso weniger dezent lästert die Beraterin über Bank eins und umso persönlichere Fragen stellt sie mir: Was wünsche ich mir für die nächsten fünf Jahre? Familie, Immobilien, Karriere? Die Auswahlmöglichkeiten scheinen direkt aus einem bürgerlichen Lebenslauf entsprungen und sind dementsprechend platt. Was sollen all die Fragen? Warum verkaufen sie mir nicht einfach diese Aktie?
Dieser Fragenkatalog sei wie die „Leitplanken einer Autobahn“, erfahre ich: Weil ungezügelte Bankiers risikoreiche Wertpapiere wie wild an „konservative Omas“ verkauft hätten, die dann wiederum ihr Geld verloren hätten, wären die Banken in Verruf geraten. Ist die Finanzkrise also jetzt das neue Argument für die allgegenwärtige Datensammelwut?
Die Bankberaterin erstellt ein „individuelles Profil“ für mich. Zumindest so individuell, wie ein „Traumurlaub“ mein größter Wunsch für die nahe Zukunft ist. Wie gut ich mit kleineren Verlusten umgehen könne? Eher gut, sage ich. Seit vier Stunden sind die Zalando-Aktien im freien Fall nach unten. Mein Einkommen, meine Ausgaben, mit wem ich zusammenlebe und wie gern ich Risikos mag, wird genau erfasst. Das fertige Profil zeigt an, welche Wertpapiere zu mir passen. Die Zalando-Aktie gehört nicht dazu. Kaufen darf ich sie trotzdem. Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Leitplanken der Autobahn zu umfahren, wir wählen die Begründung: „Depot ist nur Teil des Vermögens“. Dann endlich: 21,0601 Euro zahle ich für meine Zalando-Aktie.
Das schreit nach Ausbeutung
Die aus meinen Angaben festgelegte Anlagestrategie heißt „Einkommen“ und wäre die zweitsicherste Kategorie, um darauf zu warten, dass sich mein Geld an der Börse vermehrt. Dafür hätte ich allerdings in Rentenpapiere und Immobilienfonds investieren müssen. Für Aktien, Aktienfonds und Zertifikate muss ich die riskantere Anlagestrategie „Chance“ wählen: Überdurchschnittliche Gewinne sind jederzeit möglich, ebenso wie schnelle Wertverluste. „Ich kann Ihnen nicht sagen, wie man schnell reich wird; ich kann Ihnen aber sagen, wie man schnell arm wird: indem man nämlich versucht, schnell reich zu werden“, sagte der US-amerikanische Börsenkolumnist André Kostolany einmal.
Feierlich erklärt mir die Bankangestellte, dass ich ab jetzt zu den Hauptversammlungen von Zalando eingeladen werde. Ich denke an die mickrigen 9,04 Euro, die der Onlinehändler seinen Angestellten im Lager pro Stunde zahlt. Im April arbeiteten 80 Prozent der 2.000 MitarbeiterInnen mit Einjahresverträgen. Laut einer Umfrage der Gewerkschaft Verdi litten drei Viertel der Zalando-MitarbeiterInnen unter hohem Druck. Das schreit nicht vor Glück, das schreit nach Ausbeutung.
Um den Profit eines Unternehmens zu maximieren, das aus dem Gang an die Börse mal eben 605 Millionen eingenommen hat – trotz der Verluste, allein durch den festgesetzten Einstiegspreis für die Aktien. Ich frage mich, ob ich morgen noch in den Spiegel schauen kann. Und ob bis dahin der Kurs meiner Aktie weiter fällt. Das hat er getan. Er fiel. Stieg ein wenig. Fiel dafür umso tiefer. Eine Woche später ist die Zalando-Aktie 17,30 Euro wert. 3,74 Euro Verlust. Trotzdem habe ich sie bislang nicht verkauft. Dabei hätte ich mir für die 3,74 Euro auch ein Schokoeis in der Herbstsonne kaufen können. Oder zwei. Plus Soja-Sahne. Schokoeis und Sonne schreien mehr nach Glück.
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