EM-Duell zwischen Schweden und England: Erfahrung, Taktik und Musik
Mit Schweden und England begegnen sich im Viertelfinale zwei der besten Turniermannschaften der vergangenen Jahre. Der ultimative taz-Test.
Wenn England an diesem Donnerstag in Zürich gegen Schweden spielt (21 Uhr, ARD), sind alle Augen nicht nur auf die Superstars der Teams gerichtet. Auch der Auftritt der Fangruppierungen könnte Einfluss auf das Spiel haben. Was Trainerin und Trainer sich einfallen lassen, wird sowieso eine Rolle spielen. Aber mit welcher Geschichte gehen die Teams in dieses Spiel? Die taz hat in aller gebotenen Neutralität elf Kriterien an die Teams angelegt und wagt eine Prognose.
Wo die Musik spielt
Die Schwedinnen sind mit einem offiziellen EM-Song in die Schweiz geschickt worden. „Vinnare“ ist ein arg heiterer Sommerpopsong. Eingesungen hat ihn Estrada, ein Pop-Ensemble um Sängerin Lou Elliotte, zusammen mit Rapper Petter. Der reimt sich schwedisch durch den Song. Mitgrölpotenzial hat das Ding indes nicht. Dafür steht die Tor-Hymne der Engländerinnen wie kein anderer EM-Hit. „Sweet Caroline“, den bierzelterprobten Partykracher hat doch jede schon mal mitgeträllert. Und wie die Fans der Europameisterinnentrainerin von 2022 huldigen, ist auch zum in die Knie gehen. Statt „Tequila!“, wie es in dem Hit von den Champs aus den 50er Jahren heißt, singen die nun „Sarina!“. Besser geht’s kaum. Vorteil England.
Wo die Stars spielen
Wer zusammen mit der Männerfußballikone David Beckham einen Werbespot für eine klebrige Limonade aufnehmen darf, der hat es geschafft. Ja, Lauren James ist ein echter Fußballstar. Ihrem Powerfußball kann kaum eine Verteidigerin folgen. Wie die 23-Jährige nach ihrer Oberschenkelverletzung sofort wieder die Herrschaft über die englische Offensive übernommen hat, das darf getrost gefeiert werden. So wie die Ballstreichlereien der Schwedin Kosovare Asllani gefeiert werden dürfen. Mehr Ballgefühl hat kaum eine Spielerin bei dieser EM. Ihr feiner Fuß macht das Spiel schön. Fünfmal hat sie schon bei einer EM mitgespielt. Und immer noch kann man sich nicht sattsehen. James und Asllani nehmen sich nichts. Unentschieden.
Was sie anhaben
„Das auffällige Design dieses Trikots ist eine Hommage an schwedische Künstlerinnen, die der Welt mit ihrem Pioniergeist abstrakte Kunst beschert haben.“ Das schreiben die Werbelyriker von Adidas über das Trikot der Schwedinnen bei dieser EM. Darauf wären die meisten von alleine wohl nicht gekommen. Dennoch gefällt vor allem das wunderbar ozeanisch-blaue Ausweichtrikot, das ohne jeden Schnickschnack auskommt. Die Engländerinnen werden von Nike dagegen mit einem Fetzen aufs Feld geschickt, deren Farbelemente so aussehen, als sei den Designern beim Scrollen durch die Farbpalette die Maus ausgerutscht. Optisch haben die Schweden schon gewonnen.
Wer sie coacht
Seit 2017 ist Peter Gerhardsson nun schon Trainer der schwedischen Fußballerinnen. Kaum ein Trainer kennt den Fußball der Nationalteams besser als er. Als Fußballer war der heute 65-Jährige keine allzu große Nummer, als Trainer hat er die Schwedinnen zu zwei dritten Plätzen bei Weltmeisterschaften geführt und zu Olympiasilber 2020. Nicht schlecht, aber Sarina Wiegman, 55, kann da wohl nur müde lächeln. Sie ist immer Europameisterin geworden, wenn sie ein Team im Turnier betreut hat. 2017 mit den Niederlanden, 2022 mit England. Zweimal war sie zudem Vizeweltmeisterinnentrainerin. Da kann der alte Schwede nicht mithalten.
Wie sie spielen
Ob sie nun mauernden oder angriffswütigen Gegnerinnen begegnen, das schwedische Team beweist bei dieser EM taktische Variabilität. Wurden sie anfangs noch auf ihr Flanken- und effizientes Kopfballspiel reduziert, fielen sie gegen Deutschland mit ihrem schnellen Konterspiel und zielgenauen Maßnahmen auf, welche auf die Schwächen des Gegenübers perfekt ausgelegt waren. Die Engländerinnen pflegen taktisch eher eine Monokultur. Lange Bälle auf ihre schnellen und athletischen Offensivspielerinnen sind das bevorzugte Mittel der Wahl. Weil sie das nun schon so lange praktizieren, wissen die Spielerinnen selbst im Halbschlaf, was zu tun ist. Die Systemtreue hat sich bislang immer bezahlt gemacht. Insofern ist kaum zu sagen, was profitabler sein wird. Die Flexibilität oder die Systemtreue?
Was die Kurven können
Es sind zwar ein paar mehr EM-Tickets nach England verkauft worden, aber die numerische Unterlegenheit machen die schwedischen Fans in der Schweiz locker durch ihren unermüdlichen Einsatz wett. So organisiert wie bei keinem anderen Team unterstützen die Skandinavier ihre Elf auf dem Rasen mit Sprechchören und Gesängen. Die Varianz ist zwar ausbaufähig, die Originalität ebenfalls (siehe Songs), doch die beeindruckende Ausdauer wirft schon Fragen auf. Wer weiß, was Dopingkontrollen an den Einlasstoren für Ergebnisse zutage fördern würden. Am Support kann es jedenfalls nicht liegen, sollte Schweden dieses Spiel verlieren. Auf ihre zwölfte Frau ist immer Verlass.
Wie lange sie schon spielen
Was für ein Auftritt von Kosovare Asllani! In ihrem 200. Länderspiel servierte sie ihrer Mitspielerin in der Partie gegen Dänemark den Ball so millimetergenau, dass die nur noch vollstrecken musste. 35 Jahre ist die Spielgestalterin nun alt. Sie ist nicht die einzige 30erin im schwedischen Team. Sieben weitere gibt es davon im Team. Doch auch England bringt ein erfahrenes Team auf den Platz. Die Viererabwehr um Altmeisterin Lucy Bronze bringt es zusammen auf satte 314 Länderspieleinsätze, und auch die meisten anderen Feldspielerinnen sind aus den vergangenen Turnieren bestens eingespielt. An Erfahrung mangelt es beiden Teams also nicht.
Wo sie ihr Geld verdienen
Im englischen Team sind nur wenige im Ausland tätig. Die heimische Women’s Super League bietet schließlich in Europa die besten Bedingungen. Der Erfahrungshorizont der Schwedinnen ist dagegen um ein Vielfaches größer. 18 Spielerinnen aus dem EM-Kader verdienen ihr Geld außerhalb von Schweden. Viele kicken in England, aber auch über den Fußball in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien können sich die Skandinavierinnen untereinander austauschen. Hier sind Kosmopolitinnen am Ball. Vielleicht erklärt das auch ihre große Flexibilität.
Wie es früher war
Gut, wenn man weit zurückgeht, haben die Schwedinnen die Nase vorn. Im direkten Duell gingen die Blau-Gelben siebenmal als Siegerinnen vom Platz, viermal gab es ein Unentschieden, und die Engländerinnen konnten nur einen Sieg verbuchen. Der letzte skandinavische Erfolg liegt nun allerdings schon fünf Jahre zurück. Seither spricht der Trend für die Engländerinnen, die in den letzten drei Spielen ungeschlagen blieben. Dieser singuläre Erfolg gegen Schweden war obendrein ein ganz besonderer. Der 4:0-Triumph bei der EM im eigenen Lande im Halbfinale zählt zu den Sternstunden des englischen Frauenfußballs. Die schwedischen Journalisten erinnerten dieser Tage Peter Gerhardsson daran. „Das ist ja jetzt Geschichte“, beschwichtigte Gerhardsson. Doch gerade Fußballgeschichte wird immer wieder lebendig.
Wie die EM bis jetzt war
Den Ernstfall hat England bei dieser EM nun reichlich geprobt. Von der Todesgruppe ist so viel gesprochen worden vor und während der EM, dass eine jede und ein jeder über das Existenzielle im Fußball angefangen hat zu philosophieren. Die Vorrundenspiele gegen Frankreich und die Niederlande hatten bereits K.-o.-Charakter. Trainerin Sarina Wiegman sprach bei der Zwischenbilanz nach der Gruppenphase viel von dem Druck, der auf ihrem Team nach der ersten Niederlage gelastet habe. Schweden wurde dagegen mit Gegnerinnen beschenkt, die sich selbst aus dem Spiel genommen haben. Die Deutschen wären da an erster Stelle zu nennen. Der Ernst dieses Turniers beginnt für sie erst jetzt. Darüber können die Engländerinnen nur lachen.
Das Ergebnis
Keines der Teams hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem anderen. Die Prognose ist also eindeutig: Unentschieden nach Verlängerung und Elfmeterschießen.
Fairplay fürs freie Netz
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