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Ereignisse an spanischen GrenzzäunenWir haben eine Wahl

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

An der spanischen Grenze spielen sich Tragödien ab. Aus Angst vor den Rechten vergessen wir, dass es in der Migrationsdebatte um Menschen geht.

Entkommen – und dann festgenommen Foto: ap

M anche hatten sich alte Decken mit Isolierband um die Arme gewickelt, um den Klingendraht überhaupt anfassen zu können. Andere versuchten es mit bloßen Händen. Die Nacht zum Montag endete für sie mit schweren Verletzungen. Der Draht, den Spanien an der Grenze der Enklaven Ceuta und Melilla verbaut hat, ist eigentlich zum Schutz von Munitionslagern und Atomreaktoren gedacht.

Zum zweiten Mal in wenigen Tagen haben Hunderte Afrikaner aneinandergebundene Leitern an die Zäune der einzigen Landesgrenze zwischen Europa und Afrika gestellt. Sofort wurden sie erfasst von Sensoren, Nachtsichtgeräten und Infrarotkameras. Auf der anderen Seite stand die Guardia Civil und trieb die Menschen zusammen. Die meisten der Afrikaner werden nur wenige Stunden in Europa verbracht haben: 2015 hat Spanien ein Gesetz beschlossen, um Flüchtlinge direkt wieder an die marokkanischen Soldaten übergeben zu können, ohne Verfahren, ohne Asylantrag.

Dutzende solcher Ereignisse gab es in Ceuta und Melilla in den letzten Jahren, viele Menschen starben, bisweilen wurde gar geschossen. Und Ceuta und Melilla sind nur zwei Punkte der europäischen Grenzen, an denen sich die menschlichen Katastrophen immer weiter auftürmen, so dass ihre Bilanz jene des Eisernen Vorhangs längst in den Schatten stellt.

Wer sich damit nicht abfinden will, findet sich heute meist in der Defensive. Der Kulturkampf von rechts diktiert die Politik in Europa, noch befeuert vom Sieg Trumps. Um die Le Pens und Petrys und Wilders von der Macht fernzuhalten, tun die etablierten Parteien immer öfter genau das, was die Rechten wollen. Abschiebungen nach Afghanistan und Lager in Libyen, noch vor kurzem Tabus, stellen diese plötzlich als unausweichlich hin.

Die Idee, dass es anders sein könnte, geht in Abwehrkämpfen unter, in denen alles, was man gegen die Rechtspopulisten noch verteidigen kann, schon als Sieg durchgeht. Da lohnt es, auf die zu schauen, die gleichsam antizyklisch an der Idee einer menschenfreundlichen Flüchtlingspolitik festhalten.

Eine Karawane zivilen Ungehorsams

Der spanische Verein Casa Vostra, Casa Nostra, (Unser Haus, ihr Haus) zum Beispiel. 170.000 Menschen hat er am Wochenende in Barcelona auf die Straße gebracht, eine gigantische Mobilisierung. #vollemacollir, „wir wollen aufnehmen“, war ihre Losung. Oder das Kollektiv we gan ze haalen (Wir gehen sie holen) aus den Niederlanden. 4.000 Flüchtlinge, das hatte die Regierung in Den Haag versprochen, werde sie aus Griechenland aufnehmen. Nur 600 durften kommen. Den Rest wollen sich die Aktivisten jetzt persönlich abholen. Bald startet ihr Autokonvoi. Eine Karawane zivilen Ungehorsams.

Oder Emmanuel Macron, der junge Präsidentschaftskandidat in Frankreich. Er soll der Frau, die für Europa heute die wohl größte Gefahr darstellt und für die die Abschottung vor allem Fremden die höchste Priorität hat, in die Schranken weisen.

„Merkel und die ganze deutsche Gesellschaft waren auf der Höhe unserer gemeinsamen Werte. Sie haben unsere kollektive Würde gerettet, indem sie notleidende Flüchtlinge aufgenommen, untergebracht und ausgebildet haben“, sagt Macron. Er besitzt die Chuzpe, Le Pen nicht mit einer abgemilderten Kopie ihrer eigenen Agenda Konkurrenz machen zu wollen, sondern dem Programm des Front National grundsätzlich zu widersprechen: Pro Europa, pro Flüchtlingsschutz. Wenn die Umfragen stimmen, ist Macron heute der beliebteste Politiker des Landes.

So durchbrechen die Katalenen, die niederländischen Aktivisten und Macron den Fatalismus. Sie erinnern an das, was über die immer gleichen Nachrichten aus den Randgebieten Europas vergessen zu werden droht: dass wir eine Wahl haben.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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12 Kommentare

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  • Betrifft AfrikaReise v/d Bundeskanzlerin Merkel-Oktober 2016

    Wenn man Artikel in Fuldainfo.de(8.Oktober)+Heise.de/Tel (1.Oktober 2016) liest ist die MerkelAfrikaReise fast eine Unverschaemtheit.Dort wird beschrieben wie desaströse EU-Freihandelsdeals Afrika aufgenötigt wurden.Der frühere Bundespräsident Horst Köhler hat dem Westen i/d Afrika-Politik Heuchelei+koloniales Denken vorgeworfen.

    Seit mehr als zehn Jahren bemüht sich EU, mit afrikanischen Ländern langfristige Freihandelsabkommen (EPA-EconomicPartnershipAgreement) abzuschließen,um diese in ein möglichst enges ökonomisches Abhängigkeitsverhältnis zumanövrieren.Langfristige Strategie Brüssels erinnert an das Vorgehen eines Drogendealers,Kolonialismus+RaubtierKapitalismus in uebelster Form.Wachsende afrikanische Abhängigkeiten verschafften Brüssel den Hebel,m/d der afrikanische Widerstand gegen weitgehende Öffnung seiner Märkte für die gnadenlos überlegene europäische Konkurrenz gebrochen wird.Mitte 2013 hat Brüssel in übler neokolonialer Manier etlichen afrikanischen Staaten ein Ultimatum gestellt.Entweder sie unterzeichnen die EPA bis Oktober 2014 oder es werden ihnen sämtliche Handelserleichterungen m/d EU gestrichen.Langfristig drohen den Ländern Afrikas schwere sozioökonomische Verwerfungen aufgrund der weitgehenden Öffnung ihrer Märkte für europäisches Kapital.Kommt Merkel kontrollieren ob Afrika schon reif ist als Emigrantenlieferant? Das Endresultat wird sein Revolutionen in Afrika,China uebernimmt den Kontinent,Europa wird rausgeschmissen

  • Der Artikel drückt sich vor der entscheidenden Frage "Hat eine Gesellschaft das Recht zu bestimmen, wer einwandert?" Vor der Diskussion dieser Frage drückt sich seit den 90ern die Elite im politisch-medialen Raum. Das gilt natürlich nicht nur für die Taz, sondern für alle liberalen Medien und die etablierten Parteien. Nur der rechte Flügel der CDU schneidet dieses Thema von Zeit zu Zeit an, dann aber nie zweckfrei. (Man könnte es "Instrumentalisieren" nennen, das ist mir aber zu platt. Der Flügel profitiert nur davon, dass der politische Rest das Thema totschweigt.)

    Fürchtet sich die Elite im politisch-medialen Raum vor der sich bildenden Meinung? Fürchtet sie sich vor der Folgefrage, falls das Ergebnis "ja" lautet? Denn dann müsste diskutieren, wer kommen darf und wie man mit selbstermächtigter Einwanderung umgeht. Diese Fragen sind unangenehm, sie gehören aber zu einem Einwanderungsland dazu- Wenn sich die pol. Meinung in der Gesellschaft herausbildet, dass Einwanderung geregelt sein soll - wie großzügig auch immer -, dann müssen diese Gesetze auch umgesetzt werden.

     

    Diese Fragen sollten schnellstmöglich diskutiert werden, gerade weil es sich um Menschen handelt. Menschen, die nicht nur paternalistisches Mitleid, sondern Respekt verdienen.

     

    Mitgefühl allein hat noch kein Sozialsystem geschaffen. Mit reinem Mitgefühl würden alle, die nicht arbeiten können, noch wie im Mittelalter um Almosen betteln.

     

    Es wird Zeit, dass sich der linke Flügel der CDU und alle Parteien links davon und die gesellschaftlichen Entwicklungen endlich mitdiskutieren, anstatt das Feld der AFD zu überlassen. Es brennt den Menschen unter den Nägeln. Da nützt es nichts, die Ängste der Menschen in Deutschland kleinzureden.

     

    Und es ist die originäre Aufgabe der Medien, am öffentlichen Diskurs mitzuwirken, statt nur in hohen moralischen Idealen zu schwelgen. Und gilt m.E. für viele andere Medien fast noch stärker als für die Taz.

  • An all diejenigen, die ständig fordern: "Wir müssen!" und "Wir sollen" und dabei meinen, dass die Allgemeinheit das zahlen soll was marginale Gruppen für richtig halten: Ihr sprecht nicht in meinem Namen!

  • Ich kann dieses allgemeine, abstrakte „Wir“ nicht mehr hören, lieber Christian Jakob und andere taz-Reporter, bitte schreiben Sie doch, wer genau das Handelnde Subjekt Ihres Kommentars ist!

    Wenn ich auf derselben Ebene zurückschreibe, komme ich zu einem anderen Ergebnis: „Wir“ Durchschnittsbürger mögen objektiv „Gewinner“ der Globalisierung sein, aber wir bezahlen dieses mit le-benslangem Schuften, - gefühlt ?!? oder objektiv – immer unsicheren werdenden Einkommenslage, mit Altersarmut (immerhin ein gutes Drittel von „uns“), mit psychischen Krankheiten, … und „Wir wollen – wenn überhaupt – selber bestimmen, was wir abgeben, oder wen wir an unserem hart erarbeitetem Lebensmitteln teilhaben lassen wollen.“ Wir haben Angst, nach unten zu fallen, wir haben Angst, nicht dass ein Flüchtling kommt, nicht 1000, wir haben Angst, dass so viele kommen, dass wir darunter zusammenbrechen. Und geschlossene Grenzen nehmen uns diese Angst ein bisschen, offene nicht. Und deswegen finden wir es gut, dass die Afrikaner nicht über die Grenzen kommen! Persönliche Schicksale mögen uns betroffen machen, und der nette Eriträer mit seinem Restaurant mögen wir auch, aber die Idee, dass jeder kommt, der kommen will, macht uns schaudern!

    Und wir haben überhaupt nicht vergessen, dass es um Menschen geht, aber gerade weil es um Menschen geht, die eben „die anderen“ sind und nicht zu „uns“ gehören, wollen wir sie nicht hier haben!

    Und ich glaube, dass geht auch vielen Linken so (und nicht nur dem Durchschnitts-Europäer).

    Und wenn überhaupt, kann man Probleme nur durch echte Lösung lösen (Abschaffung der Ungleich-heiten und Machtunterschiede, Herrschaftsstrukturen, globaler Ausbeutung .. kurz das böse K-Wort. …) in der Welt und nicht durch Symptomkurierei.

    • @Eokdipl:

      Sie tun so, als wären die immer unsicherer werdenden Einkommenslagen, die zunehmende Altersarmut, die zunehmende Arbeitsbelastung, die zunehmenden Abstiegs- und Überforderungsängste ... vom Himmel gefallen.

       

      „Wir wollen – wenn überhaupt – selber bestimmen, was wir abgeben, oder wen wir an unserem hart erarbeitetem Lebensmitteln teilhaben lassen wollen.“

       

      Dann wählen Sie bitte auch keine von den Parteien, die Ihnen ständig mehr finanzielle Handlungsspielräume beschneiden – die Ihnen erzählen, dass Sie für immer mehr immer mehr immer mehr … "selbstverantwortlich" sein „müssen“: Erzwungene private Altersvorsorge, erzwungener Arbeitnehmer_innen-Zusatzbeitrag für die Kranken- und Pflegeversicherung, abgewrackte Erwerbsminderungsrente, weitgehende Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus, Arbeitslosengeld nur noch für 12 Monate etc. etc. etc. pp.

       

      Und vielleicht engagieren Sie sich darüber hinaus mal politisch gegen den fortschreitenden Sozialabbau und für mehr Selbstbestimmung, anstatt Ihre - wahrscheinlich berechtigten - zunehmenden Überforderungsgefühle und Ihre zunehmenden Existenzängste den Flüchtlingen anzulasten?? Nur weil man Sie zunehmend um Ihr Grundrecht auf soziale Existenzsicherung bescheißt, haben Sie noch lange nicht das Recht, Flüchtlinge um ihr Grundrecht auf Asyl / Existenzsicherung zu bescheißen …

       

      Nach oben buckeln – nach unten treten – DAS ist bestimmt nicht die richtige Lösung … denn genau DAS ist Symptomkuriererei par excellence.

      • 8G
        80336 (Profil gelöscht)
        @Der Sizilianer:

        Unterschrieben :-)

    • 3G
      36855 (Profil gelöscht)
      @Eokdipl:

      Auch mich stört dieses WIR, das immer wieder kommt, wie WIR schaffen das!

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @36855 (Profil gelöscht):

        Besser?

         

        UNS geht es gut, doch UNS stören solche Nachrichten, lasst UNS in Ruhe damit.

         

        Zum Heulen!

      • @36855 (Profil gelöscht):

        Was genau stört Sie denn?

         

        Sie haben eine Wahl. Ich habe eine Wahl. EOKDIPL hat eine Wahl. Herr Jakob hat eine Wahl. Wir alle haben eine Wahl. Wir alle müssen uns - trotz der momentan mehr als beschissenen Verhältnisse für viele von uns UND für viele von den Flüchtlingen - nicht in Fatalismus, Resignation, Ängste flüchten - so der Artikel.

         

        Was ist daran falsch?

    • @Eokdipl:

      Man wird Ihnen - mit Recht - Jammerei auf allerhöchsten Niveau vorwerfen.

      Denen im Artikel ging es, geht es und wird es auch in Zukunft maximal schlechter gehen als Ihnen.

       

      Das es uns Deutschen womöglich durch die Aufnahme von Flüchtlingen schlechter geht, kann ja nicht das wesentliche oder gar entscheidende Argument gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sein.

      Es muß vielmehr festgestellt werden ob wir wirklich den Bedürftigsten helfen (derzeit sicher nicht), ob alles getan wird unserer und der Flüchtlinge Sicherheit zu gewährleisten (ganz offenbar nicht) und wie vielen wir überhaupt helfen können oder wollen.

       

      In Ihrem Beitrag sprechen sie von "echten Lösungen" aber es bleibt unklar welche das sein sollen.

  • Eine beliebte Regierung ist noch lange keine gute Regierung. Von der Entscheidung, die Grenze für Afrikaner zu schließen, profitieren auch diejenigen, die jetzt Krokodilstränen weinen. Die Lösung für Probleme Afrikas liegt nicht in Europa sondern in Afrika. Eine Flucht über Zäune nach Europa endet für die meisten Männer in Illegalität, Schwarzarbeit, Drogen, Kriminalität, Gefängnissen, Sozialleistungs-Alimente und nur in Ausnahmen im Kirchenasyl oder im warmen Bett eines oder einer Barmherzigen. Die Integration dieser Menschen ist nur eine schöne Illusion, der sich eine humanistische Gesellschaft hingeben muss, um nicht zu verrotten und verrohen.

     

    Wer das ausblendet, macht sich schuldig an den Einzelschicksalen vieler Flüchtlinge. Besser wäre es darüber nachzudenken, was die Menschen wieder nach Hause bringen kann und was ihnen dort ein Leben ermöglicht, das besser als eine Flucht ist.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    nein, DAS habe ich nie vergessen!°