piwik no script img

Erdogan zurück in der Türkei„Geht nach Hause“

Tausende Anhänger feiern Ministerpräsident Erdogan bei seiner Rückkehr von einer Reise nach Nordafrika. Er will den Forderungen der Demonstranten nicht nachgeben.

Sie freuen sich, dass Erdogan wieder da ist: Anhänger der AKP in Istanbul Bild: reuters

ISTANBUL dpa | Nach seiner Rückkehr aus Nordafrika hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ein sofortiges Ende der Proteste im Land gefordert. Vor rund 10.000 Anhängern seiner islamisch-konservativen AKP-Partei sagte Erdogan am frühen Freitagmorgen am Atatürk Flughafen in Istanbul: Die Demonstrationen müssten sofort aufhören. Sie hätten ihre demokratische Berechtigung verloren und seien zu Vandalismus geworden.

Zur Kritik seiner Gegner unter Anspielung auf den Wahlsieg von 2011, dass er der Ministerpräsident von 50 Prozent der Türken sei, sagte Erdogan: „Es ist nicht wahr.“ Sie stünden im Dienst aller Türken.

Erdogan forderte seine Anhänger auf, friedlich nach Hause zu gehen. In Slogans hatten Anhänger ein gewaltsames Vorgehen gegen die Proteste am Taksim-Platz verlangt. Die Ansprache hatte Erdogan flankiert von seiner Ehefrau und Kabinettsmitgliedern vom Dach eines Busses gehalten.

Unterdessen setzten die Gegner Erdogans ihre Proteste in mehreren Provinzen des Landes fort. In Istanbul gab es in mindestens einem Stadtteil neue Zusammenstöße. Zehntausende waren in der Nacht rund um den Taksim-Platz auf den Straßen.

Ein Deutscher festgenommen

Erdogan hatte bereits zuvor klargemacht, dass er trotz der seit einer Woche andauernden Protestwelle an einem heftig umstrittenen Bauprojekt im Istanbuler Gezi-Park festhalten will. Zugleich beschuldigte er am Donnerstag bei einem Besuch in Tunis erneut Linksextremisten, hinter den Protesten zu stecken. „Unter den Demonstranten gibt es Extremisten, einige sind mit dem Terrorismus verbunden“, sagte Erdogan nach Medienberichten aus Tunis.

Bei den Protesten hat die Polizei nach Angaben von Innenminister Muammer Güler in Istanbul und Ankara sieben Ausländer festgenommen. Darunter sei ein Deutscher, zitierte die Nachrichtenagentur Anadolu den Minister in Ankara. Zudem seien zwei Franzosen, zwei Iraner, ein Grieche und ein US-Bürger in Gewahrsam. Den Ausländern werde vorgeworfen, sie hätten sich als Provokateure an den Demonstrationen beteiligt, hatten türkische Medien gemeldet. Türkische Berichte, wonach einige Festgenommene Diplomatenpässe haben, sind nach den Worten Gülers falsch.

Die Zeitung Zaman berichtet, bei einigen Festgenommenen seien Gaskartuschen und Feuerwerkskörper gefunden worden. Die islamistische Zeitung Yeni Akit präsentierte ihren Lesern den Fall auf der ersten Seite als Beleg für einen versuchten Anschlag und die Einmischung des Auslands. Erdogan hatte zu Wochenbeginn gesagt, hinter den Protesten steckten auch ausländische Gruppen, denen der Geheimdienst auf der Spur sei. Die Zeitung Radikal meldete, unter den festgenommenen Ausländern seien Studenten des Erasmus-Programms der Europäischen Union.

Güler sagte, bisher seien 915 Menschen verletzt worden. Vier Menschen seien in einem kritischen Zustand, acht weitere würden auf Intensivstationen behandelt. Den bisher entstandenen Sachschaden bezifferte Güler auf mehr als 70 Millionen Türkische Lira (etwa 28 Millionen Euro). Die Zahl der Toten bei den Protesten erhöhte sich nach Berichten mehrerer Zeitungen auf vier, nachdem ein Polizist in Adana bei einem Einsatz gegen Demonstranten von einer Brücke in den Tod gestürzt war.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • R
    rolff

    Erdogan und seine Leute tun wirklich alles um die Gegnerschaft einer EU-Mitgliedschaft zu befeuern.

  • D
    Detlev

    Demokratie kann man nicht auf die Herrschaft einer Regierung mit Mehrheit im Parlament reduzieren!

    Hier zeigt sich, wie brüchig das Verständnis von Erdogan und seiner Islamisten-Partei-AKP von dem normalen Procedere in einer Demokratie entfernt ist. Vor Kurzem noch wollte der Westen den Arabern genau diese Türkei als Vorbild empfehlen.

     

    Und es geht nur um einen Park, ein Neubauvorhaben und die Gestaltung eines Platzes. Dass diese Sache so aus dem Ruder läuft, zeigt, wie wenig das demokratische Grundverständnis reicht. Außerdem gibt es sehr wenig Parks und Gründflächen in diesem Teil der Stadt.

  • Z
    zensiert

    oh wie ich sie leid bin diese nationalismuskeule...

    mit einer der gründe, der so viel hass in die köpfe der menschen und somit für soviel leid auf der welt verantwortlich ist...

  • I
    ilmtalkelly

    Wer einen nicht zu übersehenden Bevölkerungsanteil vom "demokratischen Prozess" aussperrt, spaltet die Nation. Es riecht nach Bürgerkrieg in der Türkei. Der Nahe Osten ist widermal hoch infiziert und wenn Erdogan nicht einlenkt, kann ich nur schlimmstes befürchten.

  • N
    nik

    das scheint ja wohl inzwischen allgemeine politische rhetorik zu sein, denn die argumentationen in westlichen ländern sehen wohl kaum anders aus:

    - nicht wenn es um vermeintlich islamistische aktivitäten geht (die als von al-quaida und co ausgehend dargestellt werden ) und

    - auch nicht wenn es um proteste der eigenen bevölkerung geht (siehe die ständige rede vom schwarzen block bei hiesigen Demonstrationen)

  • M
    Marcus

    Eine demokratische legetimations sagt halt nichts über demokrativerständnis aus. Auch Assad hat eine demokratische Legetimation(je nachdem ob mann sie annerkennt). Demokrati nach westlicher Aufassug geht über deren atomare bedeutung hinaus und binhaltet Minderheitenrechte, Meinungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit und vieles mehr aber vor allem auch eine gewisse Konsensbildung mit den Minderheiten(wobei die mehrheit stärker berücksichtigt wird als die Minderheit). Es werden die freiheitsrechte der Minderheit auch gegen den willen der Mehrheit gewahrt. Diese westliche Demokratidefenition entspricht aber eher dem Liberalismus.

    Demokrati an sich kann durchaus der Wortbedeutung nach eine Diktatur der Mehrheit sein. Das geht soweit das selbst Völkermord demokratisch legetimiert sein kann, auch wenn der Fall Türkei weit davon entfernt ist. Einer Minderheit deren Freiheiten durch die Mehrheit bzw. deren Repräsentanten eingeschniten werden haben durchaus ein Wiederstandsrecht dagegen, auch wenn die Einschnite demokratisch abgesegnet sind.

  • D
    DAfuq

    Das Demonstranten als Terroristen verunglimpft werden, dass wird auch noch auf uns zukommen....

  • AH
    Anton Huber

    @Pauli; vielleicht ist die Legitimation ja doch nicht ganz so handfest und Herr Erdogan weiß das.

     

    @TAZ; Für unreflektiertes Weiterreichen von DPA Meldungen macht es keinen Spass einen Heller zu geben. Das gibs auch da wo man es nicht mehr anders erwartet...

  • P
    Paulityp

    Ohne direkt vergleichen zu wollen, da Erdogan nunmal eine handfeste demokratische Legitimation hat, ist es erstaunlich wie sehr seine Rhetorik der von Assad gleicht.

    Da werden die Demonstranten ruckzuck zu 'Terroristen', die von ausländischen Agents Provocateurs zu 'Anschlägen' angetrieben werden.