Erdogan und Satire: „Klassisches Eigentor“
Der deutsche Botschafter in der Türkei verteidigt gegenüber Erdogan die Pressefreiheit. Deutsche Politiker kritisieren den türkischen Präsidenten.
BERLIN rtr/epd/afp | Der deutsche Botschafter in der Türkei hat nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt bei einem erneuten Gespräch im türkischen Außenministerium die Pressefreiheit verteidigt. Botschafter Martin Erdmann habe am Dienstag wie bereits vor wenigen Tagen deutlich gemacht, dass Rechtsstaatlichkeit, die Unabhängigkeit der Justiz und der Schutz grundlegender Freiheiten, einschließlich der Presse- und Meinungsfreiheit, hohe Güter seien, die gemeinsam geschützt werden müssten, hieß es aus dem Auswärtigen Amt in Berlin.
Erdmann war in der vergangenen Woche wegen eines satirischen TV-Beitrags in der NDR-Sendung „Extra 3“ über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan einbestellt worden. Darin war Erdogans Umgang mit der politischen Opposition kritisiert worden. Der Diplomat musste dies in einem längeren Gespräch rechtfertigen.
Erdmann habe deutlich gemacht, dass politische Satire in Deutschland von der Presse- und Meinungsfreiheit gedeckt sei, hieß es weiter aus dem Auswärtigen Amt. Daher sei es weder nötig noch möglich, dass die Bundesregierung eingreife.
Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen hat die Reaktion Erdogans als „völlig unangemessen“ kritisiert. Der SPD-Obmann im Auswärtigen Ausschuss sprach am Mittwoch im Deutschlandfunk von einer „außerordentlich ungewöhnlichen“ Entscheidung, deswegen den deutschen Botschafter einzubestellen.
Dem Ruf geschadet
Erdogan und die türkische Regierung hätten damit „ein klassisches Eigentor“ geschossen. Statt das Ansehen und die Ehre des Präsidenten zu schützen, sei das Gegenteil geschehen. „Ich glaube, dass das dem Ruf der Türkei nicht unbedingt geholfen hat“, sagte Annen. Er widersprach Vorwürfen, die Bundesregierung habe das Vorgehen Erdogans gegen das Satire-Stück nicht deutlich genug zurückgewiesen.
Auch CDU-Außenexperte Norbert Röttgen wies Kritik an der Bundesregierung zurück. Er habe „keinen Zweifel“, dass die Bundesregierung „die zweifelsfreie Geltung“ von Grundrechten in Deutschland „auf ihren Wegen und ihren Kanälen“ zum Ausdruck gebracht habe, sagte er am Mittwoch im ZDF-„Morgenmagazin“. Auch der deutsche Botschafter habe das getan.
Obwohl das Verhalten Erdogans nicht den diplomatischen Gepflogenheiten entspreche, spreche es „nicht gegen die Kooperation mit der Türkei“, sagte Röttgen. Deutschland müsse seine rechtsstaatlichen Grundsätze aber in dieser Kooperation klar benennen. Das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei sei darum ein „Testfall, ob die Türkei rechtliche Vereinbarungen auch umsetzt“.
Die aktuelle Entwicklung der Türkei unter Präsident Erdogan, der die Unabhängigkeit der Justiz und grundlegende Freiheitsrechte wie die Meinungsfreiheit „systematisch“ einschränke, sei „kein Weg in die Europäische Union“, stellte Röttgen klar. „Das muss man klar benennen“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag.
Kritik an Erdogan kam auch von der Türkischen Gemeinde in Deutschland. „Erdogans Reaktion ist überzogen“, sagte der Vorsitzende Gökay Sofuoglu der Berliner Zeitung. „Dass er sich auf diese Weise einmischt, ist noch mal eine zusätzliche Satire. Man sollte die Kirche im Dorf lassen und die Satire in Deutschland.“
Leser*innenkommentare
tazzy
Bevor Erdogan sich wichtig gemacht hat, wurde das Video nur 30.000 mal abgerufen und natürlich nur im deutschsprachigen Raum verbreitet.
Jetzt hat es 3 Millionen Abrufe, wurde zusätzich Türkisch und Englisch untertitelt und ist weltweit in den Medien verbreitet: http://www.theguardian.com/world/2016/mar/29/turkey-german-video-mocking-president-recep-tayyip-erdogan
babusch1000
Da ist wohl die Idee zum Text unterwegs verlorengegangen: wie sich Inhalte im Netz erst recht verbreiten, wenn man sie löschen will am Beispiel von Streisand und Erdogan. Gern geschehen.
Nicky Arnstein
Was Barbra Streisands Fall (sie wollte, dass das Foto und die Lage ihres Hauses nicht im Netz kursiert - Recht auf Privatsphäre) mit Erdogans Eingriff in die Pressefreiheit zu tun hat, ist mir schleierhaft.
cursed with a brain
Streisand wollte nicht, dass ein - für jeden "normalen" Menschen beliebiges - Foto aus der Vogelperspektive, welches zudem als eines von tausenden von Aufnahmen lediglich der Dokumentation des Verlaufes der kalifornischen Küste diente, im Netz veröffentlicht wird. Zur Begründung gab sie dann an, "da ist mein Haus drauf zu sehen."
Und erst da, in diesem Augenblick, nahm die Öffentlichkeit davon Notiz. Erst durch Streisand selbst konnte überhaupt eine Verbindung zwischen der Person Barbra Streisand und einem bestimmten abgebildeten Objekt gezogen werden.
Das ist etwa so clever, wie sich vor einem Raubtier im Gebüsch zu verstecken und in dem Moment, als die Bestie schon ohne Witterung aufgenommen zu haben vorbeigetrottet ist, aus dem Gehölz hervorzuspringen und laut hinter ihr her zu rufen "Ich bin gar nicht hier!"
LastHope
@Nicky Arnstein Sie war die erste, die darauf reinfiel: https://de.wikipedia.org/wiki/Streisand-Effekt
Anton Döhl
Es geht nicht um den Barabara Streisand Fall sondern um den Barabara Streisand-Effekt.
Der Ausruf nach Verbannung des Videos macht es demnach erst richtig populär. Ganz besonders in einem Fall, in dem der Inhalt des Videos die eingeschränkte Pressefreiheit kritisiert und der Angesprochene nach Zensur schreit.
In Fall Streisand gab es im übrigen zig tausend anderer Fotos der Küste. Bevor Sie geklagt hat, hatte die Weltöffentlichkeit keine Kenntnis über den Standort Ihres Hauses.
bicyclerepairman
Willow71
Das ist doch ganz einfach: Dadurch dass Erdogan den Beitrag am liebsten verbieten würde, wurde er erst richtig bekannt.
Ähnlich ging es der Streisand - nach dem versuchten Verbot wusste jeder, wie die Villa aussah. Schneeballeffekt.
571 (Profil gelöscht)
Gast
@Willow71 Nicht nur @Nickyarnstein kennt nun den Streisand-Effekt - dank zahlreicher Erklärungen und Linktipps wurde ein schöner Thread draus.
Lowandorder
;) da sehn se mal - wie das mit der soliden Bildung & im Grunde ist -
Kaam liggers mit denn Opticken
Gor nich - Achteran;()
Lowandorder
…& verschärfend kommt hinzu -
Daß… - Dick Brown - läßt
Hägar den Schrecklichen - die
Uralte Kaptain-Froge stellen:
"Wo liegt das eigentlich -
Im Grunde¿!"
Dafür aber - Wird Bildung mehr -
Wenn frauman sie teilt!¡;))
Lehrer könnten das wissen!