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Erdoğans Truppen in SyrienTürkei kesselt Afrin ein

Die syrisch-kurdische Stadt wird von türkischen Truppen belagert. Die Einwohner fürchten einen Häuserkampf. Tausende sind auf der Flucht.

Mit der Türkei verbündete Kämpfer der Freien Syrischen Armee im Osten von Afrin Foto: reuters

Athen taz | Nach Angaben des türkischen Militärs ist die von syrischen Kurden bewohnte Stadt Afrin seit Montagnachmittag vollständig eingekesselt. Auch die in London ansässige oppositionsnahe Beobachtungsstelle für Menschenrechte in Syrien bestätigte, dass die türkische Armee gemeinsam mit ihren verbündeten Milizen der Freien Syrischen Armee in die Außenbezirke von Afrin eingedrungen ist und alle wichtigen Punkte besetzt hat.

Damit steht nun der befürchtete Häuserkampf in Afrin unmittelbar bevor. Obwohl in den vergangenen Tagen bereits Tausende Zivilisten die Stadt verlassen haben, sind nach kurdischen Angaben noch Tausende unbewaffnete Frauen, Kinder und auch Männer vor Ort.

Reporter der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu berichteten im türkischen Fernsehen, dass die Armee im Süden der Stadt Afrin einen Korridor für Zivilisten, die die Stadt verlassen wollen, offengehalten habe. Auch der türkische Rote Halbmond und die staatliche Flüchtlingsorganisation Afad seien vor Ort und kümmerten sich um die humanitäre Versorgung der Zivilisten.

Allerdings berichten Beobachter vor Ort, dass Zivilisten, die Afrin in Richtung der von Assad kontrollierten Gebiete in und um Aleppo verlassen wollen, von Assad-treuen Milizen auf der Straße nach Aleppo angehalten würden. Sie könnten nur weiterreisen, wenn sie einen hohen Wegzoll zahlen ­würden.

Angesichts der militärischen Überlegenheit der türkischen Armee dürfte es jetzt nur noch eine Frage einiger Tage sein, bis Afrin vollständig besetzt und die kurdischen YPG-Kämpfer dort entweder getötet oder gefangen genommen werden.

Manbidsch rückt wieder in den Fokus

Über die Stärke der kurdischen YPG in Afrin gibt es keine überprüfbaren Angaben. Die türkische Armee behauptet, bislang 3.393 YPG-Kämpfer „unschädlich“ gemacht zu haben. Allerdings gab es kürzlich auch Berichte, dass YPG-Kämpfer aus Gebieten östlich des Euphrats, wo sie gemeinsam mit den USA gegen den „Islamischen Staat“ (IS) gekämpft hatten, nach Afrin abgezogen seien.

Nach Afrin rückt erneut die Stadt Manbidsch in den Fokus. Manbidsch wurde im Sommer 2016 von Milizen der Demokratischen syrischen Streitkräfte, ein Bündnis, in dem die YPG die Hauptkraft darstellt, vom IS befreit. Seitdem bildet Manbidsch für die YPG einen wichtigen Brückenkopf westlich des Euphrat, von wo aus sie einen Korridor in das weiter westlich liegende Afrin herstellen wollte.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan fordert schon lange von den USA, dass diese ihre kurdischen Verbündeten in Manbidsch wieder auf Gebiete östlich des Euphrats abziehen, ansonsten würde die türkische Armee nach Afrin auch Manbidsch angreifen. Nach Angaben des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu haben die USA nun erklärt, dass sie bereit seien, in Manbidsch mit der Türkei zu kooperieren.

Gegenüber türkischen Journalisten sagte Çavuşoğlu, die USA hätten zugesagt, in Manbidsch gemeinsam mit der türkischen Armee die Kontrolle zu übernehmen. Vorher müsste die YPG natürlich abziehen. Am 19. März sollen bei einem Treffen in Washington die Einzelheiten dazu festgelegt werden. Wenn dieses Modell in Manbidsch funktioniert, könne man auch in anderen Städten östlich des Euphrat, die jetzt noch von der YPG kontrolliert werden, entsprechend vorgehen, sagte Çavuşoğlu.

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14 Kommentare

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  • Warum nur lassen es Putin und Trump zu, dass Erdogan hier wütet? Trump sieht damit den Einfluss Putins schrumpfen. Jeder Quadratkilometer der von Erdogan besetzt ist, ist damit unter Nato-Kontrolle. Menschenrechte zählen nicht. Aber warum lässt es Putin zu? Putin mag Zwietracht in der Nato. Hätte er die Türkei noch als Gegner, so hätte er ein starkes Bollwerk gegen sich. So aber ist Erdogan ihm einiges schuldig. Zum einen steht Erdogan hinter den islamistischen Terroristen. Wenn er Nordsyrien abgibt, so hofft er darauf, dass Erdogan sein Wort hält und ihm im übrigen Syrien in Ruhe lässt. Diese Hoffnung mag recht blauäugig sein. Zum anderen wird ein türkisch besetztes Nordsyrien in dem ein türkisches verbrecherisches Besatzungsregime herrscht eine ganz andere Message der Nato vermitteln, als wenn da Kurden mit Unterstützung der USA ein vorbildlich demokratisches System etablieren. Da gibt Putin lieber die Gebiete an den Despoten ab als an die Demokraten. Umgekehrt kann es sich da Trump nicht leisten, dass Erdogan weiter zu Putin überläuft und lässt Erdogan deshalb gewähren. Genau aber dies will Putin um Trump vorzuführen. So hat Putin den Westen demaskiert. Zwar hat er dabei auch Blut an den Händen - allerdings auch nicht mehr als z.B. Deutschland oder UK. Die deutsche Regierung wird von den USA auf Linie gezwungen und muss dafür innere Konflikte in Kauf nehmen. Doch wie geht es weiter? Wird Erdogan mit seiner Aggressionspolitik durchkommen und kann er weiterhin Putin und Trump gegeneinander ausspielen? Putin wird das Spiel solange mitmachen, solange der Preis für Europa nur hoch genug ist. Und Europa wird so lange mitmachen, wie die USA sie dazu verpflichten. Das lässt Schlimmes befürchten.

  • 8G
    81622 (Profil gelöscht)

    Dirty Deal zwischen Putin und Erdogan auf Kosten der Kurden:

     

    //http://www.hurriyetdailynews.com/lavrov-says-delivery-of-s-400-missiles-to-turkey-will-speed-up-128759

    • @81622 (Profil gelöscht):

      Das sind doch Peanuts im Vergleich zu den deutschen Waffenlieferungen. Außerdem ist doch wohl klar, dass genau ab dem Zeitpunkt, wo die USA die Kurden unterstützte, russische Unterstützung nicht mehr in Frage kam.

  • 8G
    81622 (Profil gelöscht)

    Für den Kampf gegen ISIS waren die Kurden der Welt gut genug. Für ihren Überlebenskampf gegen Erdogan, werden sie nun von allen verraten: Russland und Assad, den USA und Europa.

    • @81622 (Profil gelöscht):

      Nach wie vor ist Afrin syrisches Staatsgebiet und nicht jede Armee, die sich dazu bemüßigt fühlt, darf dort einfach so einmarschieren und am großen Hauen und stechen teilnehmen. Für die Russen gab es ein offizielles Mandat der syrischen Regierung für Unterstützung beim Kampf gegen die Islamisten, jedoch noch nicht für den Kampf gegen die Invasoren aus der Türkei.

       

      Abgesehen davon: Wenn die Russen sich jetzt wirklich auf die Seite der Kurden schlagen würden, hätten doch insbesondere Leute wie Sie sofort 1000 Gründe um deswegen die Russen wieder anzugreifen. Als bekannt wurde, dass die offizielle syrische Armee die Kurden im Kampf gegen Erdogan unterstützen sollte, war es Ihnen und Ihresgleich doch auch nicht recht.

      • 8G
        81622 (Profil gelöscht)
        @Khaled Chaabouté:

        "...Für die Russen gab es ein offizielles Mandat der syrischen Regierung..." haha...der Schwanz wackelt mit dem Hund? die Marionette bestimmt, was die Russen machen in Syrien und was nicht? machen Sie sich nicht lächerlich. Etwas mehr Substanz bitte !

        • @81622 (Profil gelöscht):

          Zumindest sind die Russen die einzigen ausländischen Streitkräfte, die zumindest formal völkerrechtlich korrekt auf syrischem Staatsgebiet unterwegs sind.

  • Wenn Erdogans Feldzug abgeschlossen ist, wird dann eigentlich wegen der völkerrechtswidrigen Annexion von Afrin seitens der westlichen Wertegemeinschaft protestiert und sanktioniert?

    • 9G
      97796 (Profil gelöscht)
      @Khaled Chaabouté:

      Nein. Das macht man nur bei Ländern, die nicht mit mehr Flüchtlingen drohen können.

  • Wenn Assad eine Stadt einnimmt, ist das generell böse. Egal ob da gegen Islamisten oder gegen mehr weniger demokratische Aufständische gekämpft wird. Dann hatten wir gelernt, dass die Belagerund durch irakische Truppen mit US-Unterstützung gut wäre - schließlich ging es darum, die grausamen Islamisten los zu werden. So recht mochte der Unterschied zu Assad den meisten da schon nicht mehr einleuchten. Nun wird also eine basisdemokratische Gemeinschaft von einem Diktator belagert. Statt Protesten wie bei Ost-Ghuta gibt es Waffen und Geld für Erdogan. Eine Regierung, die derart moralisch Bankrott erklärt führt zur Akzeptanz von Alternativen, die von Anfang an moralisch bankrott sind.

  • 9G
    97796 (Profil gelöscht)

    Ich wünsche der YPG viel Treffsicherheit.

    • @97796 (Profil gelöscht):

      Dem muss man sich wohl anschließen. Krieg führen ist teuer. Die Erdogan-Türkei bekommt Zuwendungen aus Brüssel. Türkische Erdogan-Jubel-Organisationen/Ditib werden mit deutschen Steuergeldern unterstützt.

       

      Geradezu unglaublich.

  • "Allerdings berichten Beobachter vor Ort, dass Zivilisten, die Afrin in Richtung der von Assad kontrollierten Gebiete in und um Aleppo verlassen wollen, von Assad-treuen Milizen auf der Straße nach Aleppo angehalten würden. Sie könnten nur weiterreisen, wenn sie einen hohen Wegzoll zahlen würden."

    Was ist Wahrheit? Auf türkei-nahen Nachrichtenportalen wird behauptet, die YPG/YGJ halten Zivilisten in Afrin fest. Was soll man glauben? Fakt ist, egal wie, es bahnt sich eine Katastrophe an und wir, der Wertewesten, bzw. generell die Hegemonialmächte mit geostrategischer Kaltschnäuzigkeit schauen weg und lassen der türkischen Armee und den verbündeten Milizen freie Hand.

    • @Da Hias:

      Tja, die Suche nach der Wahrheit wird da wohl eher schwierig.

      Im Bezug auf die Katastrophe stimme ich fast komplett zu, würde aber sagen es ist noch schlimmer: der "Wertewesten" schaut nicht nur weg, bzw lässt freie Hand, er unterstützt auch noch aktiv mit Waffen und Kriminalisierung jedweder Protestformen hierzulande...