Erdoğan-Vertrauter in Frankfurt: Der „Treter von Soma“
Yusuf Yerkel wird von der Türkei nach Frankfurt am Main entsandt. Dort formiert sich ein demokratisches Bündnis gegen seine Ernennung.
Am 13. Mai 2014 ereignete sich in der Türkei eines der schwersten Bergwerksunglücke der jüngeren Geschichte. In Soma, einem kleinen Ort in der Westtürkei, starben 301 Bergleute bei einem Grubenunglück, das durch mangelnde Sicherheitsvorkehrungen verursacht wurde. Die Grube war kurz zuvor privatisiert worden und die neuen Besitzer setzten Profit vor Sicherheit. Die Empörung im Land war so groß, dass der damalige Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan sich genötigt sah, eine Woche später den Ort zu besuchen.
Wegen seiner Privatisierungspolitik wurde er dort von protestierenden Bergleuten und Angehörigen der getöteten Bergleute begrüßt. Erdoğan war sauer. Als seine Kolonne wegen der Proteste anhalten musste, sprang ein junger Mann aus seiner Entourage aus dem Auto und trat immer wieder auf einen Bergarbeiter ein, den Polizisten zuvor bereits auf den Boden gerissen hatten. Die Fotos davon gingen um die Welt, der Mann war der damals 33-jährige Yusuf Yerkel.
Zwei Jahre zuvor war Yerkel zum jüngsten Mitglied in Erdoğans so genanntem A-Team berufen worden, das wichtigste Beratungsgremium in seinem unmittelbaren Umfeld. Yerkel hatte erst gerade ein Politikstudium abgeschlossen, aber er war für den türkischen Präsidenten offenbar ein besonders vorzeigbares Exemplar der „religiösen Jugend“, deren Erziehung sein erklärtes Ziel war.
Yerkel nie für Gewaltexzess belangt
Yerkels Vater ist ein langjähriger Bekannter Erdoğans aus dessen Zeit als Oberbürgermeister in Istanbul und Sohn Yusuf absolvierte durchgängig religiöse Schulen und die religiöse Fatih-Universität. Sein Auftritt in Soma, wenige Tage nach dem mutwillig in Kauf genommenen Bergwerksunglück mit so vielen Toten, sorgte für enorme Empörung im Land. Erdoğan musste ihn aus der ersten Reihe zurückziehen, ließ ihn aber offenbar nicht fallen. Er wurde für seinen Gewaltexzess nie belangt, sondern verschwand in einem Ministerium.
Jetzt soll er zurück in ein wichtiges öffentliches Amt. Vor drei Monaten entschied das Handelsministerium, ihn als Handelsattaché ans Konsulat nach Frankfurt zu schicken. Anscheinend wurde der Posten für ihn gezielt freigemacht. Nachdem seine Ernennung publik geworden war, formierte sich in Hessen ein breites demokratisches Bündnis, um zu verhindern, dass der „Treter von Soma“ von der Bundesregierung akkreditiert wird.
Während in Soma weiter für einen Hungerlohn unter Tage geschuftet wird, soll Yusuf Yerkel in Frankfurt 6.000 Euro plus Zulagen bekommen, so viel wie ein Bergarbeiter kaum in einem Jahr verdient. Eine Stellungnahme des von Annalena Baerbock geführten Außenministeriums steht noch aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos