Erdbeben in Türkei und Syrien: Alleingelassen
Die türkische Regierung beschlagnahmt Hilfsgüter, die deutsche Regierung macht Visa kaum erreichbar. Wie können wir den Menschen jetzt helfen?
F ast drei Wochen ist nun das erste von einer Reihe verheerender Erdbeben in der Türkei und Syrien her, noch immer gibt es Menschen, die auf der Straße ausharren müssen. Betroffene aus der Südosttürkei bitten auf Social Media verzweifelt um Zelte, weil die Nächte so kalt sind draußen. Auch ihre Toten scheinen bislang nicht alle geborgen zu sein. Die türkische Regierung aber weist alle Vorwürfe zurück. „Schufte“ nannte Erdoğan kürzlich im Fernsehen jene Betroffenen, die behaupteten, der staatliche Katastrophenschutz helfe ihnen nicht.
Derweil häufen sich Berichte über beschlagnahmte Hilfsgüter. Die Regierung in Ankara wolle die Verteilung zentral organisieren, heißt es, in der Praxis aber verzögert das die Ankunft von Lebensmitteln, warmer Kleidung und Unterkünften in den betroffenen Gebieten. Das Gegenteil von gut ist auch nicht gut gemeint, sondern gleichgültig. Recherchen legen nahe, dass kurdische und alevitische Dörfer systematisch benachteiligt werden bei der Verteilung. Die Zivilbevölkerung ist somit in weiten Teilen des Gebiets auf sich allein gestellt und versucht, an den Verwaltungen und Beschlagnahmungen vorbei zu helfen. So gut wie es eben mitten in einer schweren Wirtschaftskrise geht.
Um mich herum beobachte ich immer mehr Menschen in der Diaspora, die mit relativ kleinen, aber originellen Initiativen versuchen, Geld zu sammeln, weil auch hier die bloße Spendenbereitschaft mit der steigenden Inflation sinkt. Mal wird für einzelne Orte gesammelt, zu denen ein direkter Kontakt besteht, mal für Vereine, die versuchen an die schwerer zugänglichen Orte beispielsweise in Nordsyrien zu gelangen.
KüFas (Küchen für alle) werden aus dem Boden gestampft, Konzerte organisiert, Märkte veranstaltet, Fundraiser-Partys geschmissen, T-Shirts gedruckt, Schreib-Coachings gegen Spenden angeboten. Aus der Ferne mag sich ein drei- bis vierstelliger Betrag, der mit so einer Initiative bestenfalls zustande kommt, nichtig anfühlen angesichts der großflächigen Verwüstung. Bedenkt man aber, dass der monatliche Mindestlohn in der Türkei bei 425 Euro liegt, kann wirklich jeder Euro eine warme Mahlzeit für jemanden bedeuten.
Immer noch strenge Auflagen
Was kann man aber derzeit mehr tun, als Geld rüberzuschicken? Die Bundesregierung machte den syrischen, türkischen und kurdischen Communitys Hoffnungen, als nach dem ersten Erdbeben Visa-Erleichterungen angekündigt wurden. Viele Betroffene haben Verwandtschaft in Deutschland, bei der sie unterkommen könnten, bis es wieder bewohnbare Häuser und eine lebenswerte Infrastruktur gibt. Ernüchterung folgte, als die „Erleichterungen“ konkreter wurden, die alles sind, bloß nicht leicht: Für syrische Staatsbürger_innen ist es praktisch immer noch unmöglich, Visa zu beantragen, wenn sie nicht in der Türkei leben.
Für alle anderen hat das Visa-Verfahren derweil immer noch strenge Auflagen für Bürgschaften (500 Euro pro Gast pro Monat müssen vom Einladenden über die eigenen Fixkosten hinaus garantiert werden). Es bleibt auch die bürokratische Auflage, eine hier im Amt erstellte Verpflichtungserklärung im Original per Post in die Türkei zu senden, damit dort überhaupt ein Antrag gestellt werden kann.
Der einzige Unterschied zum bisherigen Verfahren ist, dass es beschleunigt werde und das Visum in fünf Tagen bereitstehe. Dafür muss man aber erst an einen Termin beim Landesamt für Einwanderung kommen, wo die Verpflichtungserklärungen abgegeben werden. In Berlin etwa gibt es erst wieder Mitte April Termine.
Der Wiederaufbau der zerstörten Gebiete wird Jahre dauern, unsere Aufmerksamkeit möglicherweise in ein paar Wochen schon einer anderen Krise gelten. Insofern ist jede Initiative derzeit von großer Bedeutung. Esst in KüFas, kauft bei Soli-Märkten. Wenn schon die Regierungen ihre Bürger_innen alleinlassen, sollten wir für einander da sein.
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