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Erdbeben, Tsunami, AtomunglückJapans Angst

Das schwere Nachbeben und die Katastrophe von Fukushima hat die Bürger in Japan traumatisiert – doch ihre Panik und Aufregung schlägt noch immer nicht um in Wut.

Ishinomaki in der Präfektur Miyagi: Hier steht auch das AKW Onagawa, bei dem Kühlwasser überlief. Bild: dpa

TOKIO taz | Kein Volk der Welt ist so an Erdbeben gewöhnt wie die Japaner. Gerade im Frühjahr wackelt die Erde in Tokio oft jeden zweiten Tag. Doch in der Nacht von Donnerstag auf Freitag war alles anders. Diesmal packte das Beben auch die Einheimischen. Es war halb zwölf in der Nacht, als in ganz Nordjapan, Tokio eingeschlossen, die Wände und Dächer quietschten, Lampen schwangen, Regale umfielen und in vielen Gebieten die Lichter ausgingen. Das Beben war in Tokio noch gar nicht vorbei, als das staatliche Fernsehen NHK auf Notsendung umschaltete und die erste Tsunamiwarnung bekannt gab. Unter normalen Umständen hätte das alles kaum jemanden erschüttert. Doch diesmal brachte das Beben der Stärke 7,1 auf der Richterskala aufgestaute Gefühle, Ängste und Unsicherheiten an die Oberfläche.

Vier Wochen sind seit der großen Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe vom 11. März vergangen. Doch innere Ruhe hat in dieser Zeit niemand gefunden. Dafür sorgt das andauernde Atomunglück in Fukushima. Entsprechend schnell, binnen Minuten, schalteten die japanischen Fernsehsender in der Nacht zum Freitag von der Tsunamiwarnung auf die Atomgefahr um. Die Warnung war gerade erst ausgesprochen, da versuchte ein Sprecher der AKW-Betreibergesellschaft Tepco (Tokyo Electric Power Company) schon zu erklären, dass die Atommeiler seiner Firma vom Erdbeben nicht beschädigt worden wären. Das alles ging schneller, als der Bürger in Japan seine Ängste überdenken und sortieren konnte. Zurück blieb am nächsten Morgen eine große Verunsicherung. Es war wie ein Albtraum. Als hätte sich die Katastrophe vom 11. März in der Nacht noch einmal wiederholt, und als wäre nun bewiesen, dass die Ereignisse des 11. März nicht einmalig gewesen seien.

Besonders schlimm erwischte es die 160.000 Tsunamiflüchtlinge, die seit vier Wochen in Notunterkünften Nordjapans untergekommen sind. In vielen solcher Unterkünfte, meist Schulen oder Turnhallen, gingen mit dem Beben die Lichter aus. Augenzeugen berichteten von Deckenteilen, die ihnen im Dunkeln auf die Köpfe fielen. Dabei gab es kaum bedeutenden Sachschaden. Doch die Nerven der Evakuierten liegen blank. Vier Menschen kamen laut der Nachrichtenagentur Kyodo bei dem Nachbeben ums Leben.

Tepco, der Inhaber der Katastrophenmeiler in Fukushima, hatte in der Nacht erstaunlich schnell reagiert. Schnell kam heraus, dass es ernsthafte Gründe gab, weshalb die Firma, gesetzlich verpflichtet, an die Öffentlichkeit ging. Wie schon am 11. März hatte nämlich das Beben die Stromversorgung von etlichen Atomanlagen in Nordjapan lahmgelegt. Besonders besorgniserregend: Diesmal war auch die Wiederaufarbeitungsanlage in Rokkasho am obersten Zipfel der japanischen Hauptinsel Honshu betroffen. Zwar ist die Anlage aufgrund technischer Probleme nicht mehr in Betrieb. Doch lagert und kühlt in Rokkasho Plutoniumflüssigmüll, der bei der Wiederaufarbeitung von verbrauchten Atombrennstäben entsteht. Wird der Müll nicht gekühlt, können innerhalb eines halben Tages Gefahrensituationen entstehen, bei denen Plutonium freiwerden kann. Die Kühlung in Rokkasho aber ist wie in Fukushima von der Stromversorgung abhängig. Allerdings funktionierten dort die Dieselmotoren für die Notstromversorgung.

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+++ Global Action: Japanische Anti-Atom-Aktivisten rufen für Sonntag zu einem weltweiten Aktionstag auf. In Berlin soll am Sonntag um 17 Uhr vor der japanischen Botschaft eine Solidaritätskundgebung stattfinden, in Göttingen ein Flashmob +++ Wochenendprotest: Daneben sind in dutzenden Städten Proteste geplant. In Bad Salzuflen findet am Samstag ein "Ausstiegsspaziergang" statt, in Osterode eine Mahnwache, in Bargteheide eine Menschenkette, in Maxdorf eine "feierliche Kranzniederlegng zur Beerdigung der Atomindustrie" +++ Termine checken und selbst einstellen unter www.bewegung.taz.de

Die Japaner sind Meister im Wegstecken, gerade auch von aufkommender Wut. Selten schlagen hier Ängste in Protest und Widerstand um. Dafür sorgt dieser Tage nicht zuletzt eine offensive Unternehmenswerbung. Sie hatte - im Auftrag von 200 Konzernen - schon in den letzten Wochen von den üblichen Werbespots auf eine Rührkampagne für den nationalen Zusammenhalt umgeschaltet. Nun setzte der einflussreiche Unternehmerverband Keidanren, in dem alle großen Namen von Toyota bis Mitsubishi vertreten sind, dem noch eins drauf: Keidanren versprach, alle derzeit unverkäuflichen Lebensmittel aus den radioaktiv verseuchten Gebieten rund um die Fukushima-Reaktoren aufzukaufen und sie in den Kantinen der eigenen Unternehmen zu verwerten. Schließlich beruhe die Sorge vor radioaktiv verseuchten Lebensmitteln nur auf falschen Gerüchten. Auch die japanische Regierung kündigte an, den Verkaufsstopp für einige in der Region von Fukushima produzierte Lebensmittel wie Milch, Spinat oder das Blattgemüse Kakina aufheben zu wollen.

In der Krisenbewältigung der Japaner wird ein altes Muster wirksam: Zusammenhalten, koste es, was es wolle, statt Verantwortung übernehmen. Niemand darf aus der nationalen Gemeinschaft herausfallen. Alle werden versorgt. Aber deshalb darf auch niemand Kritik äußern. Fast schien es, als würde den Japanern beim größten Nachbeben seit dem 11. März der Kragen platzen. Doch dann blieb am nächsten Tag wieder alles ruhig.

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12 Kommentare

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  • S
    strange

    @exgutmensch: es gibt aber schuldige. korrupte systeme zum beispiel

  • DR
    Der Ritchie

    "Augenzeugen berichteten von Deckenteilen, die ihnen im Dunkeln auf die Köpfe fielen. Dabei gab es kaum bedeutenden Sachschaden."

     

    In diesem Zusammenhang wäre bei mir eher die Frage nach Personenschäden aufgetaucht. War das etwa gemeint?

  • E
    exgutmensch

    Die Japaner suchen einfach nur nicht für jedes Geschehen nach "dem Schuldigen", wie das bei uns immer hysterischer und zynischer geschieht.

  • B
    Bürger

    Es wird Zeit. Störfall in Biblis am Montag. Bekanntmachung erst drei Tage später. Zitat aus der FR: "Nach Angaben des Umweltministeriums hatte der Anschluss des Kraftwerks ans Hochspannungsnetz zeitweise nicht funktioniert und das Umschalten auf ein Reservenetz bei zwei von vier Versorgungsschienen versagt. Für 50 Minuten hätten Dieselaggregate die Stromversorgung sicherstellen müssen"

  • V
    vic

    Schätze in der Kantine des Unternehmerverband Keidanren werden künftig einige Plätze leer bleiben.

  • C
    Conrado

    Lieber Herr Blume, wovon Schreiben Sie? Was war "alles anders" in der Nacht von Donnerstag auf Freitag? Wo sind "aufgestaute Gefühle, Ängste und Unsicherheiten an die Oberfläche" gebracht worden? In Tokio, wie sie behaupten? Berichten Sie aus Tokio? Wenn ja, wieviele Tagen/Stunden sind sie schon hier? Mit wem haben sie Kontakt? Ich lebe hier seit ueber zwei Jahren (mit Frau und kleinen Kindern), habe aber nichts von dem beobachtet, ueber das Sie schreiben, noch hat einer meiner Kollegen. Ich bin von dem Nachbeben wachgeworden, aber nicht mal aufgestanden, weil es in Tokio einfach nicht stark genug war. Wenn sie nach Problemen suchen, fahren Sie nach Sendai und Fukushima. Und bitte, berichten Sie sachlich. Wenn Sie in Japan Wut erleben wollen, koennen sie lange warten: Japan ist kein antiautoritaerer Kindergarten. Um Missverstaendnissen vorzubeugen: Atomkraft ist Scheisse!

  • S
    Stefan

    Der Autor verwechselt da was. Nur weil die Japaner nicht so hysterisch rumkreischen wie die Deutschen, sind sie nicht unbedingt traumatisiert.

  • H
    HannahWestphalica

    Es ist schlimm mitzuerleben, wie

    sich ein Volk zu Grunde richtet, indem

    es radioaktives Essen verspeist, um

    loyal zu sein.

     

    Japans zivilisatorische Stärke wird

    nun als passivierender Obrigkeitskadavergehorsam

    entzaubert.

  • CM
    Cornelia Müller

    "Gerade im Frühjahr wackelt die Erde in Tokio oft jeden zweiten Tag. Doch in der Nacht von Donnerstag auf Freitag war alles anders. Diesmal packte das Beben auch die Einheimischen."

     

    Diese Einleitung entspricht so nicht den tatsächlichen Gegebenheiten und droht den restlichen Inhalt zu entwerten. Ich habe selbst jahrelang in Japan gelebt und habe viele japanische Freunde. Weder gibt es in Japan "gerade im Frühjahr" viele Erdbeben - die passieren ständig und über das ganze Jahr verteilt - noch haben die vielen starken Nachbeben seit 11.3. (über 400 der Stärke 5 und höher, davon mehr als 50 Beben stärker als Magnitude 6) die Mehrzahl der Japaner seither kalt gelassen. Dass sie trotz dessen nicht sofort in Panik und Wut verfallen sind, ist durchaus nachvollziehbar. Es liegt weder im Naturell der meisten Japaner, kopflos zu reagieren, noch wäre es hilfreich gewesen, wenn ca. 35 Mio. Menschen im Grossraum Tokio in Massenpanik verfallen wären. Das relativ disziplinierte Verhalten der Menschen in nicht direkt betroffenen Gebieten ist insofern auch ein Segen.

     

    Ich teile Ihre Meinung ansonsten völlig... dass diese Katastrophe und der skandalöse Umgang damit so wenig politischen Druck der Bevölkerung provoziert, grundlegendes zu überdenken, ist aus unserer Sicht unverständlich. Das liegt leider im System bedingt. Man darf nur hoffen, dass aufgrund der aktuellen Ereignisse mittelfristig doch noch ein Umdenken einsetzt.

  • P
    Paria

    Zitat:

    "Keidanren versprach, alle derzeit unverkäuflichen Lebensmittel aus den radioaktiv verseuchten Gebieten rund um die Fukushima-Reaktoren aufzukaufen und sie in den Kantinen der eigenen Unternehmen zu verwerten."

     

    Ganz nach dem Motto: Wenn ihr das Zeug nicht freiwillig fresst, zwingen wir euch halt dazu, oder wie?!

  • U
    Unbequemer

    "...doch ihre Panik und Aufregung schlägt noch immer nicht um in Wut"

     

    Das würde dem Autor gefallen... Vielleicht kommt auber auch eine Zeit, wo wegen Genderwahn, Feinstaubwahn und Eigenkulturwegwefen Wut bei uns aufkommt. Würde das dem Autor dann auch gefallen?

  • D
    Dukath

    Ihr habt sie doch nicht alle. Das Nuklearunglück ist momentan das kleinste Problem der Betroffenen.