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Episodenfilm von Kelly ReichardtStille Wut in Montana

In „Certain Women“ kämpfen Frauen gegen Einsamkeit, Frust und die Schwierigkeit, morgens aufzustehen. Und sie rauchen beim Joggen.

Jetzt joggen oder doch noch eine Zigarette? Oder beides? Foto: Peripher

Als 2009 Maile Meloys Kurzgeschichtensammlung „Both Ways Is the Only Way I Want It“ erschien, war man sich in den USA ziemlich einig darüber, das es sich um ein exzeptionelles Buch handelt. „Mutig“ würde Meloy erzählen und dabei doch „low-key“ bleiben, also sich keinen Ausschweifungen, keiner unnötigen Ausschmückung hingeben. Ihr Stil sei klar und diszipliniert, was einen starken Kontrast bilde zu dem Inhalt ihrer Geschichten, in denen es um gewöhnliche Personen geht, die sich doch ein bestimmtes Maß an Irrationalität erlauben.

Das ist eine Charakterisierung, die auch auf die Regisseurin Kelly Reichardt zutreffen könnte, die wiederum Meloys Kurzgeschichten für ihren neuen Film „Certain Women“ adaptiert hat. Seit Jahren greift Reichardt kontinuierlich auf Schriftsteller zurück. „Old Joy“ (2006), den sie mehr als zehn Jahre nach ihrem Debütfilm „River of Grass“ (1994) realisierte, basiert auf einer Kurzgeschichte Jonathan Raymonds. Es ist keine große Handlung in der Geschichte zu erwarten, eher ein gewöhnliches, ansonsten wahrscheinlich unbemerkt bleibendes Ereignis zwischen zwei alten Schulfreunden, die zusammen einen Ausflug zu einer Heilquelle unternehmen.

Doch ist das Besondere einer Kurzgeschichte eben auch gar nicht in der Handlung zu suchen, sondern in den unscheinbaren Beobachtungen, die keiner Psychologisierung bedürfen, sondern denen einfach erlaubt ist, als genau solche dazustehen. Nicht selten blickt diese literarische Gattung damit tiefer als so mancher Roman. Auch an „Wendy and Lucy“ (2008) war Raymonds beteiligt, jenem Film mit Michelle Williams in der Hauptrolle, die sich mit ihrem Hund Lucy allein nach Alaska durchschlagen wollte, aber wegen einer Autopanne irgendwo in Oregon strandete.

In „Meek’s Cutoff“ (2010) war man dagegen gezielt auf dem Weg nach Oregon gewesen, nämlich auf dem Oregon Trail, einer Siedlerroute über die Rocky Mountains. „Meek’s Cut­off“ spielt 1845 und entstammt ebenfalls der Gedankenwelt Jonathan Raymonds. Und tatsächlich fand man sich in Kelly Reichardts möglicherweise bekanntestem Film, „Night Moves“ (2013), mit Jesse Eisenberg und Dakota Fanning in den Rollen von Umweltaktivisten, erneut in Oregon wieder.

Zigarette beim Joggen

In „Certain Women“ ist man nun zwei Staaten westwärts gerückt, nämlich nach Montana, in die Kleinstadt Livingston, die nicht einmal auf 10.000 Einwohner kommt. Hier und ein paar Stunden außerhalb leben die „Certain Women“: Laura Wells (Laura Dern), Anwältin, Beth Travis (Kristen Stewart), ebenfalls Anwältin, die Rancherin Jamie (Lily Glad­stone) und Mutter und Ehefrau Gina (Michelle Williams). Reichardt bringt die Frauen im Einzelfall zwar zusammen, aber all das wirkt eher zufällig, unbeabsichtigt.

Es kommt zu Überschneidungen ihrer Wege, doch meistens entsteht an dieser Stelle kein Knotenpunkt, bis auf einmal: ­Jamie, die allein auf einer Ranch lebt und sich dort um Pferde kümmert, ist eines Abends mit ihrem Jeep unterwegs, als ihr ein kleine Ansammlung von Autos auf einem Parkplatz auffällt. Sie ist neugierig, hält und findet sich plötzlich in einem Klassenraum wieder, in dem die junge Anwältin Beth eine Einführung zum Thema Bildungsrecht gibt. Ein mehrwöchiger Kurs, der Beth nicht in den Kram passt, denn die Schule liegt vier Fahrstunden von Livingston entfernt, die Straße ist in schlechtem Zustand und Beth muss am nächsten Tag früh aufstehen.

„Certain Women“

Regie: Kelly Reichardt. Mit Kristen Stewart, Laura Dern u. a. USA 2016, 107 Min.

Jamie ist fasziniert von Beth (im Gegensatz zum restlichen Kurs) und fädelt es so ein, dass sich zwischen ihnen beiden eine Art lose Abmachung ergibt: Nach jeder Veranstaltung gehen sie noch gemeinsam in ein Diner. Hier bestellt Beth große Portionen Fast Food, die sie allerdings nicht mal ansatzweise aufisst. Jamie sieht ihr dabei begeistert zu, bestellt nichts und holt sich im Anschluss dafür einen abgepackten Cheeseburger an der Tankstelle.

Die Begebenheit hat eine Klimax, eine Irrationalität, die aus einem Missverständnis und aus Einsamkeit heraus erwächst. Ein anderer Höhepunkt ergibt sich im Film viel früher und spielt im Leben von Laura Wells und ist dem Unvermögen ihres Klienten Fuller (Jared Harris) geschuldet, seine Chancenlosigkeit innerhalb eines arbeitsrechtlichen Prozesses zu erkennen. Zornig und schrecklich hilflos inszeniert er eine amateurhafte Geiselnahme. Fuller agiert seine Wut aus, mit der sowohl Laura als auch die anderen Frauen von „Certain Women“ längst gelernt haben umzugehen.

So raucht Gina Lewis auf ihren Joggingrunden durch den Wald heimlich Zigaretten, indes Beth Travis mit einem dermaßen lustlosen, erschöpften Gesichtsausdruck unterwegs ist, dass man sich wundert, wie sie es überhaupt fertiggebracht hat, morgens ihre Kleider anzuziehen. Dass sie es aber offenbar schafft, aus derlei Feststellungen ist dieser Film gemacht und es fehlt ihm an nichts. Oder wie es in einer Review zu Maile Meloys Buch heißt: „Vielleicht scheint es sonderbar, eine Autorin gerade für die Dinge anzupreisen, die sie nicht macht.“

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