piwik no script img

Episches Duell bei Radcross-WMMeisterlich im Morast

Bei der Radcross-WM in Liévin setzt sich Mathieu van der Poel gegen seinen größten Rivalen Wout van Aert durch. Und holt damit seinen siebten Titel.

Mathieu van der Poel kommt wieder einmal am besten mit den schwierigen Bedingungen zurecht Foto: anp/imago

Eine Kurve und es war vorbei. Was genau dort, 20 Sekunden nach dem Start des Männer-Rennens im nordfranzösischen Liévin passiert war, hatten nicht einmal die TV-Kommentatoren gesehen. Doch das Ergebnis war eindeutig: Mathieu van der Poel, sechsmaliger Weltmeister im Cyclocross, so der internationale Name des Querfeldeinradfahrens, setzte sich sogleich vom Hauptfeld ab. Wout van Aert, dreimaliger Titelträger und ewiger Rivale, kam im Gedränge fast zum Stillstand und fiel weit zurück. Womit der Hype eines epischen Duells, der in den Tagen zuvor so schnell über die „Cross“-Szene hereingebrochen war, sich noch schneller in Luft auflöste.

Etwas über eine Stunde später überquerte der Niederländer van der Poel, 30, Sohn des in den 1980ern erfolgreichen Radprofis Adrie van der Poel und Enkel des großen Franzosen Raymond Poulidor, die Ziellinie. Alleine, so wie es in dieser Disziplin indes der Normalzustand ist, und sieben Finger den Kameras entgegenstreckend, einen für jeden Weltmeistertitel, womit er den Rekord Erik De Vlaemincks einstellte. Dem zollte auch der gleichaltrige Belgier van Aert Respekt, als er 45 Sekunden später, seinen Helm ziehend, folgte, selbst mit gebührendem Abstand vor seinem Teamkollegen Thibau Nys.

Die Machtverhältnisse am Ende der Querfeldeinsaison sind damit zementiert: Die beiden Superstars, deren Karrieren laut einem niederländischen TV-Kommentator „so eng miteinander verschmolzen sind, dass, wenn man den Namen des einen sagt, auch den des anderen ausspricht“, fahren jeder in seiner eigenen Dimension, weit dahinter folgt das Feld. Beide sind dem Cross eigentlich seit Jahren entwachsen und betreiben die Wintersaison in morastigen Feldern nicht zuletzt als Vorbereitung für die Straßenrennen, die ihre Schatten schon vorauswerfen.

Dass van Aert, wie er am Sonntagabend zugab, entgegen seiner Gewohnheit mit seiner Rolle als „best of the rest“ zufrieden war, liegt nicht nur an seiner Anerkennung für den ungeheuren Nimbus, den sein Konkurrent inzwischen hat. Es bedeutet auch, dass er nach seinem Horrorjahr mit zwei kapitalen Stürzen und langwierigen Rehaphasen wieder auf dem Weg zurück ist zu seiner früheren prächtigen Verfassung, die auch Grundlage für einen erfolgreichen Saisonstart im Frühjahr sein soll.

Elektrisierende Atmosphäre

Natürlich war all das allen Lieb­ha­be­r*in­nen dieser Sportart klar, die in den Niederlanden und vor allem Belgien so zahlreich sind. Und doch baute sich in den Tagen vor dem Rennen innerhalb kürzester Tag eine elektrisierende Atmosphäre auf. Erst nachdem er am Wochenende zuvor im niederländischen Hoogerheide seinen Cross-Winter eigentlich schon beendet hatte, verkündete er, doch in Liévin an den Start zu gehen.

Das Städtchen im Steinkohlebecken bei Lens liegt 50 Kilometer von der belgischen Grenze, Tausende An­hän­ge­r*in­nen machten sich extra auf den Weg. Der tiefe, matschige Parcours, analysierten Experten, liege van Aert, und die Tageszeitung De Standaard orakelte unter der Woche: „Wenn van Aert van der Poel irgendwo schlagen kann, dann dort.“

Dass es nur der Widerschein eines großen Duells wurde, lag auch daran, dass der Belgier, entsprechend seiner Startposition in der vierten Reihe, sofort an den Rand gedrängt und einen Fuß aus der Pedale nehmen musste. Er musste sich erst eine Lücke suchen, bevor er sich mit seitlich aufgerissener Hose Stück für Stück nach vorne kämpfen konnte. Nach der zweiten Runde war er schon Siebter, nach der dritten Zweiter. Die Frage stand im Raum, ob van Aert noch näher kommen könnte. Er konnte nicht, auf einem Kurs, der in Teilen gefroren und glatt war und den technisch versierteren van der Poel begünstigte.

Es war ein teils gefrorener Kurs, der den technisch versierteren van der Poel begünstigte

Der Stimmung in Liévin tat all dies keinen Abbruch. Vielfarbiger Rauch hing über der Strecke, während sich die Matatdore des Morasts dem Ziel entgegenkämpften. Auch der ferne Widerschein des großen Zweikampfs tat offenbar seine Wirkung. Rekordträger van der Poel kündigte an, sich abends einen Wein zu genehmigen. Rivale van Aert tauchte hingegen auf dem Nachhauseweg gutgelaunt an einem Imbiss namens ’t Friethuisje„ auf – zur großen Freude des Personals. Fritten, das ist unbestritten, gehören zur Querfeldeinsaison.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!