Entwurf für die neue Sternbrücke: Ein zu großes Spielzeugbauteil
Der neue Entwurf für die Sternbrücke in Hamburg ist überdimensioniert. Wer darf entscheiden, wie die unsere Stadt aussieht? Wem gehört die Stadt?
H ast du den Entwurf der neuen Sternbrücke gesehen“, sagt mein Sohn am Telefon. „Nein“, sage ich und frage mich, was daran so spektakulär sein soll, dass mein Sohn es im Telefonat mit seiner Mutter erwähnt. Ich finde es schnell heraus, ein Wunder, dass es mir nicht eher untergekommen ist, weil es überall ist, auf Facebook, Twitter, auf den Websites der Hamburger Tageszeitungen, in den regionalen Nachrichten, Vereine, denen ich folge, reden darüber, es ist ein größeres Thema. Endlich, ein anderes Thema!
Die Sache ist die: Eine Eisenbahnbrücke scheint marode zu sein, die Bahn will investieren und eine neue bauen, die natürlich dann auch noch in vielerlei Hinsicht besser sein soll als die alte. Ein Auftrag wird vergeben, ein Entwurf wird ausgesucht und präsentiert. Und dann das: Viele Leute sind entsetzt. Und amüsiert. Amüsiert entsetzt, könnte man vielleicht sagen. Schon kursieren die ersten Bildmontagen. Die Elbphilharmonie als Sternbrücke. Andere gigantische Bauwerke als Sternbrücke.
„Die Brücke wirkt auf dem Bild leicht überdimensioniert“, lautet ein Kommentar zum NDR-Bericht. Höflicher kann man es kaum ausdrücken. Meine Kinder haben früher auf ihrem Kinderzimmerboden kleine Welten aufgebaut. Und die Größenverhältnisse waren natürlich manchmal nicht ideal.
Manchmal war ein Mensch größer als ein Haus, und die Schaumstoffbauteile waren immer zu groß im Verhältnis zu allem. Und so sieht diese Brücke auf diesem Entwurf aus, als sei sie eines jener Bauteile, die aus einer anderen Spielreihe stammt und in den aktuellen Verhältnissen falsch dimensioniert ist.
Clubs wie hübsche Giftpilze
Das ist das eine. Das andere sind die Clubs, die abgerissen werden sollen. Ich kenne die Kreuzung unter der Sternbrücke gut. Ich wohne nicht weit weg und ich sage es mal so, ich würde mir keinen Klappstuhl aufstellen, um dort einen gemütlichen Nachmittag zu verbringen.
Es ist naturgemäß laut und es stinkt. Aber genau an solchen Orten gedeihen dann die Clubs wie hübsche Giftpilze, der Lärm ist ihr Humus, der Dreck ihr Dünger. Niemand beschwert sich über Lärm und biertrinkende Leute auf der Straße. In der Astra-Stube habe ich einst die nettesten, überraschendsten Konzerte erlebt.
ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
Für den Neubau müssten die Astra-Stube, Fundbureau und Waagenbau „weichen“, wie man es ausdrückt. Dann gibt es da auch noch die Beat Boutique, das Soul Edge und den Brückenstern. „Mit mehreren Live-Clubs und Kneipen ist die Kreuzung Max-Brauer-Allee/Stresemannstraße einer der hottesten Spots der Stadt“, heißt es auf der Seite von „Hamburg Tourismus“. Und einer dieser „hottesten Spots der Stadt“ soll nun also „weichen“?
Hat Denkmalschutz einen Effekt?
Es ist natürlich alles überhaupt nicht einfach. Weiß ich, ob diese Brücke abgerissen werden muss? Die Bahn sagt, ja. Die Kulturbehörde sagt, die Brücke hält noch eine ganze lange Weile, da gibt es also unterschiedliche Gutachten. Und wenn sie denn abgerissen werden muss, obwohl sie unter Denkmalschutz steht (was, wie ich immer mehr den Eindruck gewinne, in Hamburg keine größere Bedeutung hat), kann dann diese Riesenbrücke wirklich die beste Lösung sein?
Der Denkmalverein Hamburg ist gegen diesen Entwurf und setzt sich für einen Erhalt der alten Brücke ein, ebenso wie die Initiative Sternbrücke. Der Bund Deutscher Architekten kritisiert den Abriss, den vorgestellten Entwurf und gleich auch überhaupt den „Umgang mit dem baulichen Erbe Hamburgs“, rückblickend auf einige in der Vergangenheit getroffene Entscheidungen.
Der BDA möchte eine öffentliche Beteiligung an der Entscheidungsfindung: „Verfahren, in dem Tatsachen unter Ausschluss der Öffentlichkeit herbeigeführt werden, sind abzulehnen“ – und bietet seine Mithilfe an.
Ist das nicht wunderbar? So viele Menschen wollen an der Gestaltung der Stadt beteiligt werden, sie sorgen sich um ihr Ansehen, ihr Aussehen, ihre kulturelle Identität. Sie wollen ihre Zeit und Arbeitskraft investieren, sie möchten gerne unsere Stadt mitgestalten. Ist denn dieser Ruf wieder und immer noch zu leise? Und über all dem steht die alte Frage: Wem gehört die Stadt?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen