: Entschärftes Dynamit
■ ARD-Chef Reiter will die kleinen Sender nun nicht mehr auflösen, sondern nur noch zurechtstutzen. So etwas nennt er einen Kompromiß
Anfang April bekamen die ARD-Intendanten Post aus Leipzig. „Liebe Kollegen“, schrieb der ARD-Vorsitzende und MDR- Chef Udo Reiter: „Wie angekündigt darf ich Ihnen beiliegend ein Papier zur Struktur der ARD zukommen lassen.“ Es folgten Sätze, die noch vor einem Jahr als medienpolitisches Dynamit eingestuft worden wären: Ein Haus wie die ARD, schrieb Reiter, mit einer „so unstimmigen Architektur“, möge Schönwetterperioden unbeschadet überstehen: „In stürmischen Zeiten besteht unübersehbar Einsturzgefahr.“
Vor einem Jahr wurde Reiter für solche Formulierungen von den „Kollegen“ noch verhauen: Er wolle wohl die ARD „zerschlagen“, entfuhr es damals Fritz Raff vom Saarländischen Rundfunk (SR). Ein ARD-Vorsitzender, der die Zukunft der kleinen Rundfunkanstalten in Frage stelle, verstoße gegen seine Amtspflichten.
Doch wer gestern in Saarbrücken anrief, konnte Raff den MDR- Chef loben hören: Inzwischen wolle er den SR und Radio Bremen nicht mehr unbedingt von großen Nachbarn eingemeindet sehen. Er sehe „erhebliche Fortschritte“. Allein: „Daß wir nacharbeiten müssen, passiert uns im Berufsleben immer wieder.“
Nach Reiters „Kompromißmodell“ sollen SR und RB eigenständig bleiben und mit NDR und dem neuen Südwestrundfunk (SWR) verstärkt kooperieren. Schritte dahin sind sowieso schon in Planung: So verhandelt der SR mit dem SWR über eine gemeinsame Jugendwelle, der NDR will mit den Bremern ein „Nordwestradio“ aufmachen. Soweit dürfte Reiters Empfehlung auch von den Kleinsendern getragen werden. Allerdings gehören zum „Kompromiß“ auch eine „Befreiung“ der Kleinen von Programmleistungen für das ARD-Hauptprogramm. Im Klartext: Das Erste soll nur noch von großen Sendern produziert werden. Den kleinen billigt das Papier gerade mal zwei regionale Radios und ein einstündiges Fenster in einem der Dritten zu. Gleichzeitig will Reiter Radio Bremen und SR entmachten: „Ein Stimmrecht in ARD-Angelegenheiten entfällt.“ Bisher hat Radio Bremen wie der WDR eine Stimme, wenn in Intendanten- und Chefredakteurssitzungen etwa über einen ARD- „Brennpunkt“ entschieden wird.
Da hört für SR-Chef Raff der Spaß auf: „Wir werden nicht am Katzentisch Platz nehmen. Uns die Zahl der Radios vorzuschreiben ist Quatsch.“ Den Föderalismus neu zu definieren, halte er für fatal. Reiter störe wohl das demokratische Mittel der „Vielstimmigkeit“.
Für den in der machtpolitisch wichtigen Hauptstadt sendenden SFB hat Reiters Papier zwei Möglichkeiten parat. Entweder eine Fusion mit dem ORB oder, wenn die nicht klappt, müßten beide wie Radio Bremen und SR zurechtgestutzt werden. Die Hauptstadtberichterstattung sei durch das ARD-Hauptstadtstudio gesichert. Für den ORB komme aber auch eine Fusion mit dem NDR oder Reiters eigenem MDR in Frage.
Die letzten beiden Varianten sind für ORB-Intendant Hansjürgen Rosenbauer ein Graus. Gestern wollte er im ORB-Rundfunkrat ein schon lange vorbereitetes Strategiepapier absegnen lassen: „Der ORB muß aus wirtschaftlichen Gründen in den nächsten Jahren nicht mit einer anderen Landesrundfunkanstalt fusionieren“, heißt es darin tapfer. Der natürliche Partner sei der SFB, andererseits müsse auch über einen „Neuzuschnitt“ unter Einbeziehung bestehender Mehrländeranstalten wie MDR und NDR nachgedacht werden. Laut einem Rundfunkratsprotokoll sieht Rosenbauer es als „Alternative“, daß Sachsen-Anhalt und/oder Mecklenburg-Vorpommern sich aus dem MDR verabschieden und mit ihm einen neuen Sender aufmachen. Mit derart „offensiven“ Denkmodellen will Rosenbauer der Entrechtung der Kleinen entgegentreten. Ob er sie ernst meint, weiß niemand so genau. Georg Löwisch
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