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Entschädigung ehemaliger HeimkinderWarten auf die Anerkennung

Die Linksfraktion möchte vom Bremer Senat wissen, wie die Entschädigung von ehemaligen Heimkindern läuft. Ein Bremer klagt bereits seit neun Jahren.

Ehemalige Heimkinder protestierten bereits 2010 gegen Missbrauch in Kinderheimen Foto: dpa

Bremen taz | Vor dem Bremer Sozialgericht klagt D. nun schon seit neun Jahren. Er kämpft um Anerkennung für das, was ihm vor vielen Jahrzehnten zugestoßen ist: Als Heimkind sei er unzählige Male vergewaltigt worden, erzählt er. Zudem sei er in Ketten gelegt worden und stark unterernährt gewesen. „Bisher wurde ich aber nicht entschädigt“, so D. (Name ist der Redaktion bekannt).

D.s Gegner im Prozess nach dem Opferentschädigungsgesetz, der zuständige Landesverband Westfalen-Lippe, versuche mit Gutachten zu widerlegen, dass er immer noch unter den Misshandlungen leide. Auch sein öffentliches Engagement werfe ihm die Gegenseite vor sowie kriminelle Handlungen im Erwachsenenalter. Sein Prozess verzögert sich weiter.

Der „schockierende Fall“ von D. sei, so Jan Restat, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Linksfraktion, der Anlass für eine Anfrage, die die Fraktion jetzt an den Senat gestellt hat – sie will wissen, ob noch andere Bremer vom langen Warten auf ein Urteil betroffen sind. „In den 50er- und 60er-Jahren wurden mehrere Hunderttausend Kinder in Heime und Psychiatrien eingewiesen, häufig unter heute nicht mehr nachzuvollziehenden Gründen“, heißt es dort. In vielen Heimen sei es zu schweren seelischen und körperlichen Misshandlungen gekommen.

Das Opferentschädigungsgesetz von 1985 soll Menschen, die irgendeine Form von Gewalt erfahren haben, Entschädigung bieten. Laut einer Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erhalten dadurch derzeit 23.777 Menschen monatliche Geldleistungen.

Die Hürden sind hoch

Doch wer seinen Anspruch über das Gesetz geltend machen möchte, muss neben der Gewalttat oder Misshandlung selbst eine andauernde gesundheitliche Belastung und ihren Zusammenhang zur Tat nachweisen. Bleibt eine Einigung aus, kommt der Fall vor Gericht. Und selbst, wenn Kläger*innen gewinnen, kann mit einer Revision der Beklagten die Zahlung der Entschädigung über Jahre hinausgezögert werden – bis ein neues Urteil gefällt ist.

D. glaubt, dass er in Bremen kein Einzelfall ist. Beim Verein ehemaliger Heimkinder hilft er anderen Betroffenen bei der Antragstellung – und stellte dabei wiederholt große Verzögerungen fest. Wird ein Antrag vom zuständigen Landesverband abgelehnt, beginne mit der Einlegung einer Beschwerde die „Gutachter-Schlacht“, so D. Die Gutachten der Gegenseite kämen aus den eigenen Reihen – oft Besitzern der Heime und Psychiatrien, in denen früher Kinder misshandelt wurden. So würde versucht, den Anspruch der klagenden Person zurückzuweisen.

Ich würde sehr unbefriedigt ins Grab gehen, wenn ich bis dahin kein Urteil habe.

Ehemaliges Heimkind D.

„Nicht selten sterben die Kläger, bevor der Prozess abgeschlossen ist“, sagt D. Die meisten von ihnen seien zu Beginn über 60. „Wenn ein Prozess 18 Jahre dauert, kann man sich das ausrechnen.“ Sein Vorwurf: „Der Staat möchte gar nicht entschädigen, und durch die Verzögerungen bringt man Leute gewollt um ihren Anspruch.“

Im Antrag fragt die Fraktion, wie viele Anträge auf Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz von ehemaligen Heimkindern seit dem Jahr 2000 an Bremer Gerichten gestellt wurden und wie lange die Verfahren dauern. Abgefragt wird auch die Anzahl der Urteile und der Revisionen. Und schließlich möchte die Linke in Erfahrung bringen, wie viele Gerichtsverfahren mit dem Tod des Antragsstellenden vorzeitig endeten. Laut einem Senatssprecher soll bis Mitte November eine Antwort vorliegen.

D. ist schwer krank. „Ich würde sehr unbefriedigt ins Grab gehen, wenn ich bis dahin kein Urteil habe.“ Es komme ihm dabei weniger auf das Geld, sondern vielmehr auf den Schuldspruch an. „Sollte ich Recht bekommen, ist das ein richtungsweisendes Urteil, was auch anderen Menschen mit einer ähnlichen Geschichte helfen kann.“ Er hat inzwischen in allen anderen Landesparlamenten selbst um Auskünfte über die Anträge auf Entschädigung gebeten.

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