piwik no script img

Entführungen in den USAKetten und Seile gefunden

Nach der Befreiung von drei Frauen in den USA laufen die Ermittlungen auf Hochtouren. Dabei gerät auch Polizei in die Kritik: Sie soll Hinweise ignoriert haben.

In diesem Haus in Cleveland wurden drei Frauen jahrelang festgehalten. Bild: ap

WASHINGTON/ CLEVELAND dpa/afp | Die US-Stadt Cleveland feiert das befreite Entführungsopfer Amanda Berry als Heldin. Nach zehn Jahren Gefangenschaft war es Berry gelungen, aus dem Haus des mutmaßlichen Entführers zu entkommen. Die Polizei befreite noch zwei weitere Frauen. In dem Haus, in dem sie wahrscheinlich jahrelang festgehalten worden waren, entdeckten die Ermittler Ketten und Seile. „Wir können bestätigen, dass sie gefesselt wurden“, sagte Polizeichef Michael McGrath am Mittwoch dem Sender NBC.

„Amanda hier ist die echte Heldin“, sagte der stellvertretende Polizeichef Ed Tomba am Dienstagabend. „Sie hat die Sache ins Laufen gebracht (...) Ohne sie wären wir jetzt nicht hier.“ Nach Berrys Flucht wurden auch Gina DeJesus und Michelle Knight aus dem Haus befreit. Beide waren wie Berry seit Jahren vermisst worden. Ein ebenfalls befreites sechsjähriges Mädchen soll die Tochter von Amanda Berry sein.

Ariel Castro, der Hauptverdächtige, und zwei Brüder von ihm wurden festgenommen. Die Richter gaben der Polizei 48 Stunden Zeit, um die Vorwürfe gegen die Männer konkreter zu machen. Gegen die Polizei wurden nun schon Vorwürfe laut. Sie soll frühe Hinweise auf ein Verbrechen zu schnell abgetan haben.

Hinweise ignoriert

Nachbarn hatten Medienberichten zufolge die Polizei mehrmals auf eigenartige Vorgänge und angeblich sogar auf „Frauen in Ketten“ in dem Haus aufmerksam gemacht. Eine Nachbarin sagte, sie habe vor einigen Jahren die Polizei zu dem Haus gerufen, nachdem ihre Tochter hinter dem Gebäude eine nackte Frau auf Knien habe kriechen sehen. Ein anderer Nachbar berichtete, er habe ein Klopfen an der Tür des Gebäudes gehört und Plastiktüten über den Fenstern bemerkt. Die Polizei kam in beiden Fällen.

Die Nachbarn berichteten jedoch, die Beamten seien nie ins Haus hinein gegangen. Die Polizei verteidigte sich auf ihrer Internetseite: Man habe nur zwei Hinweise erhalten und sei diesen auch nachgegangen. Beide hätten nichts mit den vermissten jungen Frauen zu tun gehabt.

Clevelands Sicherheitsdirektor Martin Flask erklärte am Dienstag, in den Akten der Ermittler gebe es keinen Hinweis, dass jemand kriminelle Aktivitäten in dem Haus gemeldet hätte. Allerdings sei man noch dabei, sämtliche Datenbanken der Polizei, der Feuerwehr und der Notdienste zu durchforsten.

Die drei festgenommenen Männer sind Brüder - der 52-jährige Hausbesitzer Ariel Castro, der 54-jährige Pedro Castro und der 50-jährige Onil Castro. Von den Behörden veröffentlichte Bilder der Verdächtigen zeigen drei eher korpulente Männer mit grauen Bärten. Noch haben die Behörden keine offiziellen Vorwürfe gegen die Männer erhoben. Ein Verwandter der drei Brüder, Juan Alicea, erklärte, die Familie sei vollkommen schockiert über die Entdeckung der drei Frauen. Man habe keine Ahnung gehabt.

Amanda Berry kam frei, nachdem ein Nachbar am Montag Hilferufe aus dem Haus gehört hatte. Mit seiner Hilfe rief sie den Berichten zufolge die Polizei. Auch wie die Ermittler mit diesem Notruf umgingen, sorgte für Aufregung. Das Opfer sei zunächst nicht ernst genommen worden, werfen Kritiker der Polizei vor. Auf ihrer Facebook-Seite versprach die Polizei eine Untersuchung.

Die Ermittler wurden schon früher mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert: 2009 waren in einem Haus in einem anderen Stadtviertel Clevelands die Leichen von elf Frauen gefunden worden. Sie waren Opfer eines Massenmörders gewesen. Auch damals hatten einige Familien der Polizei Untätigkeit vorgeworfen.

Mögliche Schwangerschaften und Fehlgeburten

Berichte über mögliche weitere Schwangerschaften der Entführungsopfer beschäftigen die Polizei ebenfalls: Der Lokalsender ABC Channel 5 News berichtete unter Berufung auf Polizeiquellen, eine der Frauen habe zwei oder drei Fehlgeburten erlitten. Eine andere Quelle sprach von bis zu fünf Schwangerschaften der Opfer, so der Sender.

Worte der Unterstützung kamen von einem anderen ehemaligen Entführungsopfer aus den USA, von Jaycee Lee Dugard. Das berichtete die Zeitung Los Angeles Times. Die Frauen brauchten nun Zeit für eine Heilung, wurde Dugard in einer Mitteilung zitiert. Dugard war 1991 als Mädchen entführt und 18 Jahre lang gefangen gehalten worden.

Am Dienstag erhielt Dugard in Washington einen Preis einer Hilfsorganisation für entführte Kinder. „Gestern ist ein weiteres Wunder geschehen“, sagte Dugards Mutter Terry Probyn bei der Preisverleihung. Dies berichtete der Sender NBC. Das Happy-End von Cleveland habe ihn darin bestätigt, dass man nie die Hoffnung aufgeben sollte, sagte John Walsh, der Mitbegründer des Zentrums für vermisste und ausgebeutete Kinder.

Ermittlungen auf Hochtouren

Nach der spektakulären Befreiung von drei seit Jahren vermissten Frauen in Cleveland liefen die Ermittlungen am Mittwoch auf Hochtouren. „Das ist nur die Spitze des Eisbergs, diese Ermittlungen werden sehr lange dauern“, sagte die Polizeisprecherin von Cleveland, Jennifer Ciaccia, dem TV-Sender CNN. Ihren Worten zufolge sollten die drei festgenommenen Verdächtigen noch am Abend einem Richter vorgeführt werden.

Der Anwalt und Strafrechtsexperte Page Pate sagte, dass den Männern mindestens eine Anklage wegen Entführung drohe. Weitere Vorwürfe könnten folgen, „sobald die Ermittler wissen, was genau sich in dem Haus abgespielt hat.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!