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Entertainment und Engagement

Durchhaltetitel für die amerikanischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg, Boogie Woogie und der berühmte Zwei-Zeigefinger-Stil: Lionel Hampton, der legendäre Big-Band-Leader, Vibrafonist und letzte große Star des Swing ist tot

New York im Januar 1950. Der damals bereits etablierte Vibrafonist Lionel Hampton ist mit seiner Big Band im Studio, um den Mack-Gordon/Harry-Warren-Titel „I Wish I Knew“ für das Decca-Label aufzunehmen. Der Sänger für dieses Stück wird unter dem Namen „Little Jimmy Scott“ gelistet. Es ist eine sehnsüchtige Ballade, bei der sich die Band im Hintergrund hält – ganz untypisch für Hampton, der sonst vor allem schnelle, treibende Rhythmen und Showeinlagen in den Vordergrund stellte. Wie bei „Flying Home“, einem seiner großen Hits, ein 1942 entstandener Durchhaltetitel für die amerikanischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg, der bis zuletzt in keinem Hampton-Konzert fehlte. Oder „Hamp’s Boogie Woogie“, gespielt mit seinem berühmt gewordenen „Zwei-Zeigefinger-Stil“, für den sich der gelernte Schlagzeuger ausnahmsweise ans Klavier setzte.

Abgesehen vom Entertainment und dem, was Peter Watrous gestern in der New York Times als „Popular Light Classics“ bezeichnete, setzte sich Lionel Hampton vor allem für die Förderung und Integration schwarzer Musiker ein. Als er 1936 mit dem Pianisten Teddy Wilson der einzige schwarze Musiker in der populären weißen Benny-Goodman-Big Band war, gefolgt von Auftritten im Radio, in dem Film „The Benny Goodman Story“ (1955) und in der ehrwürdigen Carnegie Hall, machte das vielen durch die Rassentrennung gedemütigten schwarzen Musiker Amerikas Mut. Seine Auftritte im Weißen Haus brachten ihm zwar ebenfalls die „Onkel Tom“-Schmähungen ein, die heute noch seinem großen Förderer Louis Armstrong gemacht werden, aber damit hatte er die Möglichkeit, bei seinen Aufnahmen freie Hand zu haben und auch junge Talente herauszustellen. So waren in seinen Bands neben der damals unbekannten Dinah Washington auch Dexter Gordon, Charles Mingus, Betty Carter oder Jimmy Scott, der heute noch „I Wish I Knew“ singt.

Mit seiner 1976 verstorbenen Frau und Managerin gründete Lionel Hampton Mitte der Sechzigerjahre seine eigene Plattenfirma „Glad Hamp“ und arbeitete systematisch am Aufbau einer Stiftung für Wohnhauskomplexe für sozial schwache Familien. 1982 eröffnete er in Harlem ein Kommunikations- und Ausbildungszentrum, um Jugendliche von der Straße zu holen.

Das Geburtsdatum Hamptons ist nicht verbürgt, da es zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die Kinder schwarzer Familien oft keinen Eintrag ins Geburtenregister gab. Nach Aussage seines Managers wurde Lionel Hampton am 20. April 1908 geboren, in Louisville, Kentucky. Später zog die Familie nach Chicago, und er erinnerte sich: „Ich verbrachte jeden Tag Stunden in einer Musikschule für Jungen. Im Schulorchester spielte ich Xylofon und Schlagzeug, und zu Hause hörte ich mir die Platten von Louis Armstrong und Coleman Hawkins an und übertrug die Trompeten- und Saxofonsoli Note für Note auf meine Instrumente.“

Es war Louis Armstrong, der 1930 Aufnahmen mit der Band von Les Hites und Lionel Hampton als Schlagzeuger machte und ihn dann zum Vibrafon brachte – für die Aufnahme „Memories Of You“, 1931. Schon damals setzte er die Parameter für dieses Instrument, die bis heute Gültigkeit haben. Er blieb der Stilistik des Swing auch nach dem Niedergang der Big Bands 1940 verbunden und sampelte sich quasi bis zuletzt selbst. Fast so alt wie die Geschichte des Jazz starb Lionel Hampton am Samstag 94-jährig im Mount Sinai Medical Center in Manhattan an den Folgen eines Infarkts. MAXI SICKERT

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