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Enkel der Schoa-ÜberlebendenWissen, woher man kommt

Wie tragen die Enkel der Schoa-Überlebenden ihre Geschichte weiter? Das Jüdische Museum in Wien zeigt, wie aus Erinnerung Geschichte wird.

Aufs Sweatshirt tradierte Heimat: „Trachimbrod“ war ein jüdisches Schtetl in der heutigen Ukraine, damals Polen Foto: Esther Safran Foer/Tobias de St.Julien

Da stehen zwei Rucksäcke im Raum, ein größerer und ein kleinerer, und der erste Gedanke ist, dass dies Erinnerungsstücke eines Überlebenden sein müssen, Behältnisse also, die authentisch davon berichten, wie ein jüdischer Mensch die Verfolgung durch die Nationalsozialisten überstanden hat, mithilfe dieser Rucksäcke nämlich.

Aber das stimmt in diesem Fall höchstens zur Hälfte. Wir befinden uns im Jüdischen Museum Wien in einer Sonderausstellung mit dem Titel „Die dritte Generation“. Ja, diese Rucksäcke erinnern an den Großvater einer Familie. Er kam aus Budapest und wurde 1944 von den Nazis nach Serbien deportiert. Er hat überlebt. Doch es sind nicht seine Rucksäcke.

Die dritte Generation – gemeint sind damit die Enkel der jüdischen Opfer –, es wird die letzte sein, die die Überlebenden noch persönlich kennenlernen konnte. Erinnerung verändert sich künftig fort von familiärer Nähe zu Opa und Oma hin zu einer Geschichte, die man nur noch aus Büchern, Interviews und Schwarz-Weiß-Bildern kennt. Erinnerung wird zur Geschichte. Auch in jüdischen Familien?

Die Ausstellung

„Die dritte Generation. Der Holocaust im familiären Gedächtnis“: Jüdisches Museum Wien, bis 16. März 2025; ab 9. April 2025 im Jüdischen Museum München. Katalog (Hentrich & Hentrich): 29,90 Euro

Manch Nichtjuden sind der Auffassung, mit dem Tod der letzten jüdischen Zeugen der Menschheitskatastrophe verschwinde auch der Schmerz der Überlebenden (und, ganz nebenbei, die Verantwortung der Täternachfahren). Doch das ist ein Irrtum, und dies ist der erste Punkt, den diese Ausstellung macht. Trauer und Erinnerungen bleiben, sie suchen sich nur andere Ausdrucksformen. So wie bei den beiden Rucksäcken.

Viele Menschen aus der Generation der Überlebenden waren unfähig zu sprechen. Erinnerung war gleichbedeutend mit einem Albtraum, den man nicht zum Leben erwecken wollte. Viele Menschen aus der zweiten Generation waren unfähig zu fragen. Sie mochten sich Vater und Mutter nicht als gequälte Opfer vorstellen, sondern als ihre Vorbilder.

Erinnerung kann täuschen

Die dritte Generation hat einen größeren Abstand. Sie fragt – auch wenn die Antworten häufig nur mehr verwaschen daherkommen. Denn dass die Großeltern oder Urgroßeltern alle noch am Leben sind, das dürfte die Ausnahme sein. In der Familie von Zsuzsi Flohr wussten die Nachfahren nicht viel über den Großvater, nur wo er hergekommen war und wohin er verschleppt wurde. Er starb, als Zsuzsi noch klein war. Es gibt keine Fotos. Zsuzsis Vater und eine Tante erinnerten sich aber an den Rucksack, der das Leben des Großvaters gerettet habe, mit Geheimfächern für Zuckerstücke.

Also begann die Künstlerin, den Rucksack nach den Angaben des Vaters nachzuschneidern. Als sie damit fertig war, erklärte die Tante, er sähe dem Original überhaupt nicht ähnlich. Also schneiderte Zsuzsi Flohr einen zweiten Rucksack, nun nach der Erinnerung der Tante. Sie wusste jetzt: Erinnerung kann täuschen. Und Verstummen ist keine Lösung. Fragen lohnt sich immer. Das ist der zweite Punkt, den die Ausstellung macht. Man muss kein Künstler sein, um der Familiengeschichte der Verfolgung auf den Grund zu gehen.

Viele Angehörige der dritten Generation machen sich auf den Weg zu den Ursprüngen ihrer Gruppe, nach Polen, Rumänien oder in die baltischen Länder. Sie würden auch in die Ukraine oder nach Russland fahren, wenn es dort nicht den Krieg geben würde. Sie wollen wissen, wo sie herkommen. Sie stochern in vergilbten Papieren von Regionalarchiven herum, auf der Suche nach der Urgroßmutter und dem Schwippschwager. Manchmal werden sie fündig.

Das Schweigen überwinden

Es geht dabei um den Versuch, die Lücken der Familiengeschichte zu schließen, die das Schweigen verursacht hat. Wobei die Wiener Ausstellung klar macht, dass Begrifflichkeiten wie Generationen und Überlebende höchst wacklige Konstruktionen sind. So wenig wie die Enkel oder Urenkel lassen sich die Überlebenden selbst in eine Schachtel mit Etikett stecken. Überleben konnte man im Lager, versteckt oder unerkannt, halbwegs geschützt durch „arische“ Verwandte oder geflohen ins Exil.

Für fast alle war dieser Prozess ein Abstieg. Für alle gleich blieb am Ende nur die bohrende Frage, warum man selbst überlebt hatte, die anderen aber nicht. Vielen, nicht allen Überlebenden war es unvorstellbar, zurückzukehren. Heute nehmen jüngere Israelis oder US-Amerikaner für sich das Recht in Anspruch, wieder einen deutschen oder österreichischen Pass zu besitzen, wenn die erste Generation aus dem Land stammte, und so von den Segnungen der EU zu profitieren. „Bescheid über den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Anzeige“ nennt sich das Ergebnis dieses Vorgangs in Wien, und er ist in der Ausstellung zu besichtigen.

Doch eigentlich lässt sich das Thema nicht entlang nationaler Grenzen erzählen. Schon die Überlebenden mussten häufig ihren Wohnort und ihr Land verlassen. Zwei Generationen später ist Heimat ein sehr flüchtiger Begriff geworden. Und deshalb steht im Jüdischen Museum in der Dorotheergasse jetzt eine silberne Schatulle, die Isidor Löwit im Jahr 1931 zum 50-jährigen Dienstjubiläum als Oberkantor der Israelitischen Kultusgemeinde von Wien geschenkt bekommen hat.

Elf Jahre später schrieb Löwit an seine vor den Nazis geflüchtete Enkelin: „Sollte der liebe Gott es fügen, dass ich den Krieg überlebe, werde ich glücklich sein, vielleicht noch Urenkel zu erleben.“ Der Wunsch ging nicht in Erfüllung. Isisdor Löwit wurde am 28. Dezember 1942 im Ghetto Theresienstadt ermordet. Die Enkelin und die Schwiegertochter von Isidor Löwit überlebten. Ihre Nachfahren schenkten im Herbst 2023 das Familienarchiv dem Jüdischen Museum in Wien.

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