: England-Klischees
■ Das Opernstudio in den Kammerspielen mit Benjamin Brittens „Albert Herring“
Ein mannshohes Big-Ben-Modell auf der Bühne macht es unmißverständlich klar: Wir befinden uns im merry old England, dem Land der teetrinkenden Haushälterinnen und pfeifenschmauchenden Tweedsakkoträger. In einer englischen Kleinstadt noch dazu, einem dieser Provinznester, die uns durch Miß Marple und Father Brown vertraut sind. Nur daß in den Kammerspielen an diesem Abend kein Mord geschieht, sondern die Emanzipation eines jungen Mannes singend dargestellt wird.
Nach Rossinis Cenerentola im vergangenen Jahr hatte sich das Opernstudio der Hamburgischen Staatsoper diesmal Benjamin Brittens Kammeroper Albert Herring vorgenommen. Eigentlich keine schlechte Wahl, denn das Stück hält für jeden der zehn Sänger dankbare Solopassagen bereit. Der auf ein gutes Dutzend Instrumentalisten reduzierte Orchesterpart gewährleistet die Textverständlichkeit und gibt den Darstellern so die Möglichkeit, ihren Witz über die Rampe zu bringen.
Daß am Sonntag abend trotzdem kein Funke übersprang, liegt sicherlich auch am Stück selbst. Zu abgeschmackt ist die Posse um den schüchternen Trottel, der von den Tugendwächtern des Ortes mangels geeigneter Jungfrauen zur Maikönigin gekrönt wird. Der Kleinstadtmoral entfliehend, brennt der junge Gemüseverkäufer in die Großstadt durch und kommt nach einer durchzechten Nacht als echter Macker zurück.
Das alles ist von Britten mit einer Musik versehen worden, die zwar recht melodiös und abwechslungsreich ist, das Plakative des Stückes aber eher noch verstärkt als gegen den Strich bürstet. Hier hätte die Inszenierung von Sven Müller abmildern müssen, statt die Handlung mit dümmlichen England-Klischees zu bebildern.
Über dies Niveau hinaus erhob sich allein Clemens-C. Löschmann in der Titelrolle, dessen Monolog im zweiten Akt als wohltuende Insel ausbalancierter Tragikomik aus dem ansonsten mauen Abend herausstach. Jörg Königsdorf
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