piwik no script img

Archiv-Artikel

Engelchen vermisst

Es ist nicht leicht, sich an ein Dasein als kommender Star zu gewöhnen: Tagebuchschnipsel zwischen Hamburg und Berlin

Sonnabend, 30. November 2002: Der Tag, an dem für mich klar wird, dass es kein Zurück mehr gibt. Die Titelseite der taz zeigt niemand Geringeres als Senait – und das bin ich. Freude und Angst zugleich. Für Sekunden bin ich sprachlos. Nun weiß es die ganze Welt: Senait geht zum Grand Prix. Und das soll meine Chance sein, das ist mir klar.

Einige Tage sind vergangen, und ich merke, dass dies sicher kein Traum ist. Aber ich hatte da noch ein Problem. Anfang Dezember beschloss ich, nach Berlin umzuziehen, um mein Team um mich zu haben. Die Polydor, die taz, meinen Anwalt, meinen Manager.

Aber wieder dieses Gefühl der Unsicherheit. Ich, Senait Mehari, soll Hamburg verlassen. Dabei gehöre ich doch zu Hamburg! Doch es gibt jetzt so viel zu tun. Nur mein Herz geriet in Panik. Aber es ging nicht anders. In Berlin würde alles einfacher sein.

Mittlerweile sind wir schon in weihnachtlicher Stimmung. Drei Wochen wohne ich jetzt in Berlin, außerdem bin ich ein Jahr älter geworden. Alles gut. Auch in Berlin rast die Zeit; und wieder gibt es wahnsinnig viel zu tun. Der Textwettbewerb, die Produktion der Melodien, die zur Auswahl standen …

Und auf der privaten Ebene? Tja, ich suchte wie wild eine geeignete Wohnung. Das Glück ist aber mal wieder auf meiner Seite. Juhu! Grins! Ach ja, bald ist Silvester – ich hasse Silvester und alles drumherum. Dieser Aufwand!

Wenn ich in meinen Leben etwas ändern will, weil mich etwas stört, zum Beispiel das Rauchen, dann muss ich nicht darauf warten, bis es Neujahr ist. Diese leeren Versprechen an sich selbst, buhu! Zwei Wochen später trifft man die Person wieder mit der Zigarette in der Hand – so viel zu Silvester. Also, Senait fragt sich grundsätzlich nie: Was mache ich bloß Silvester? Weil es immer das Gleiche ist: einfach nichts.

Freitag, 3. Januar 2003: Das Finale für den Textwettbewerb. Ich war etwas nervös, was die Jury zu den Texten sagen würde. Es gab einige Texte, die echt ein Knaller waren. Nun muss man eine Entscheidung treffen, die allen Geschmäckern entspricht. Ich hatte ja keine eigene Stimme in der Jury. Aber die entschied für „Herz aus Eis“!

Ich war sehr glücklich. Am nächsten Tag gingen wir sofort ins Studio, um den Song aufzunehmen. Die Zeit ist knapp. Abgabetermin beim NDR ist schon der 7. Januar.

Ihr dürft nicht vergessen, was ein Endprodukt so ausmacht. So viele Akkorde werden geschnitten, der Chor muss sitzen, es müssen Remixe gemacht werden. Aber es hat ein Happyend, denn der Song ist der Knaller. Wow!

Jetzt hatte ich eine Auszeit, um zu entspannen und alles zu realisieren. Aber nicht allzu lange, denn die Pressekonferenz und diverse Pressetermine stehen mir noch bevor.

Sonntag, 12. Januar 2003: Wieder mal in Hamburg. Kribbeln im Körper überall. Ich habe meine Stadt vermisst. Meine Kusine und Tochter Jada holen mich am Bahnhof ab. Gott, hatte ich mein Engelchen vermisst! Ihre Kulleraugen riefen nach mir. Wir fahren gemeinsam ins Hotel Hafen Hamburg.

Wie seltsam ist das, in Hamburg zu Hause zu sein und im Hotel zu schlafen? Leider ging es ja nicht anders: Ich habe eben keine Wohnung mehr in Hamburg. Für den Job ist es das Beste, ein Hotelzimmer zu haben. Und im Foyer gebe ich viele Interviews. Der Blick vom Hotel aus ist ein Traum: wunderbarer Hamburger Hafen.

Keine Pause, bitte, weiter geht’s: Nur ein halbe Stunde Zeit, um mal auszuruhen. Dieser Tag ist mit Terminen überfüllt. Sat.1, RTL, ARD-Radios, NDR, Radio ffn, Pro 7 – das ging fast drei Tage lang so. Fühle mich leicht erschöpft. Stress bestimmt mein Leben, und ich habe es so gewollt. Und mir ist klar, dass das alles sein muss, Promotion ist wichtig.

Bei fast jedem Interview dieselben Fragen. Und täglich grüßt das Interview? Aber ich habe das gut überstanden und bin sehr glücklich über das große Interesse an meiner Person.

Montag, 13. Januar 2003: Nun ist er da, der große Tag. Pressekonferenz mit allen deutschen Grand-Prix-Kandidaten. Als ich vor Schmidts Tivoli stehe, wusste ich, dass es anders läuft, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich habe nicht gedacht, dass dieser Abend öffentlich ist. Jeder konnte Eintrittskarten kaufen und dabei sein.

Das ist ja okay, aber alle Künstler mussten stehen und waren überall im Saal verteilt. Keiner von uns wusste, wie der Plan des Abends aussieht. Alle Mitglieder der Grand-Prix-Kommission und die Presseleute saßen. Es gab eine Bühne, und die Künstler wurden einzeln aufgerufen, befragt und fotografiert. Das war’s dann auch. Danach rumsitzen, was trinken, Interviews geben.

3:45 Uhr, zurück im Hotel. Bis elf Uhr ausschlafen. Und mein Tagebuch für die taz schreiben. Ziemlich aufregend alles. Fortsetzung folgt. EURE SENAIT