Energiepolitik ohne Kohle und Atom: Gesucht wird mehr Effizienz

In Deutschland entsteht eine Bewegung gegen neue Kohlekraftwerke. Aber kann das Land auf Atom und Kohle verzichten?

Der Anteil von Solarstrom wächst immer noch schneller als die Prognostiker glauben Bild: dpa

Wird in Deutschland der Strom knapp? Die Atomkraftwerke sollen bis zum Beginn des übernächsten Jahrzehnts vom Netz gehen, und gleichzeitig will man die Nutzung fossiler Energien zugunsten des Klimaschutzes reduzieren. Geht das überhaupt? Und wenn ja, wie?

Deutsche Atomkraftwerke haben im vergangenen Jahr 133 Milliarden Kilowattstunden Strom geliefert - 22 Prozent des deutschen Bedarfs. Da Deutschland gleichzeitig einen Exportüberschuss von 19 Milliarden Kilowattstunden erzielte, bleiben noch 114 Milliarden Kilowattstunden, die ersetzt werden müssen, wenn Deutschland aus der Atomkraft aussteigt und dabei nicht zum Stromimporteur werden will.

Das werden die erneuerbaren Energien gut leisten können. Der Verband der Netzbetreiber, also die etablierte Stromwirtschaft selbst, rechnet für die nächsten Jahre mit einem Ausbau der jährlichen Ökostromerzeugung um durchschnittlich 8 Milliarden Kilowattstunden. Das entspricht übrigens ziemlich genau dem Ausbautempo, wie es seit dem Jahr 2000 in Deutschland gepflegt wird. Diese Menge auf 15 Jahre hochgerechnet ergibt in der Summe einen Ausbau der Ökostromerzeugung bis zum Jahr 2022 (dann soll der letzte Atommeiler vom Netz gehen) um 120 Milliarden Kilowattstunden - womit die Atomkraft komplett kompensiert wäre.

Woher soll der Strom kommen?

Den größten Anteil wird vermutlich die Offshore-Windkraft beitragen, die nach Prognosen der Stromwirtschaft bis 2013 etwa 15 Milliarden Kilowattstunden jährlich bringen wird. Das entspricht der Erzeugung von fast zwei Atommeilern. Im Jahr 2030 soll die Offshore-Windkraft nach Plänen der Bundesregierung sogar 80 Milliarden Kilowattstunden erzeugen.

Nach langer Planungsphase geht es jetzt übrigens los: Ab August werden die ersten Anlagen in deutschen Gewässern 45 Kilometer nördlich von Borkum in 30 Meter tiefem Wasser aufgestellt. Die 12 Anlagen des Windparks Alpha Ventus werden zusammen über eine Leistung von 60 Megawatt verfügen und gut 200 Millionen Kilowattstunden jährlich erzeugen - ausreichend für 60.000 Haushalte.

Und das ist erst ein bescheidener Anfang: Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie hat bereits 18 Windpark-Projekte in der Nordsee und 3 in der Ostsee genehmigt. Zudem soll die Windkraft an Land in den nächsten fünf Jahren von derzeit 40 Milliarden auf künftig 50 Milliarden Kilowattstunden jährlich ausgebaut werden. Bis 2020 hält der Bundesverband Windenergie sogar eine Verdopplung für möglich, vor allem durch Austausch älterer Anlagen durch neuere, leistungsstärkere Maschinen. Somit sind im Jahr 2020 rund 80 Milliarden Kilowattstunden Onshore-Windstrom möglich.

Wie viel bringt die Solarenergie?

Der Solarstrom wird sich nach Schätzungen des Verbandes der Netzbetreiber bis 2013 auf 6,6 Milliarden Kilowattstunden verdoppeln. Rechnet man nun - was im Vergleich zur Vergangenheit moderat ist - mit einer Verdopplung des Solarstroms alle fünf Jahre, wäre man bis 2020 bei rund 20 Milliarden Kilowattstunden Photovoltaik angelangt.

Betrachtet man sich nun allerdings die Prognosen der Vergangenheit, dann stellt man fest, dass die Entwicklung des Ökostroms stets schneller war, als es selbst Optimisten erwartet hatten. Als Greenpeace zum Beispiel im Herbst 1991 ein Energiekonzept für Deutschland vorstellte, schien dessen Öko-Szenario geradezu visionär und unerreichbar: Im Jahr 2010, so rechneten die Umweltschützer vor, könnten Windkraftwerke in Deutschland 30 Milliarden Kilowattstunden erzeugen. Im Jahr 2007 jedoch wurden bereits 39,5 Milliarden erzeugt. Windkraft hatte damit im vergangenen Jahr einen Anteil am Strommix von 6,4 Prozent, die erneuerbaren Energien insgesamt kamen auf gut 14 Prozent.

Wie senkt man den Verbrauch?

Wenn die erneuerbaren Energien nun die wegfallende Atomkraft ersetzen können, bleibt eine Frage offen: Wie reduziert man zusätzlich den Anteil der fossilen Energien? Die Antwort ist klar: Atomausstieg einerseits und eine Reduktion bei der Kohle- und Erdgasverstromung andererseits können nur klappen, wenn der Energieverbrauch im Land gesenkt wird.

Das ist jedoch möglich, denn in unserer Wirtschaft schlummern enorme Effizienzpotenziale. Beachtliche Möglichkeiten zur Energieeinsparung bietet die Kraft-Wärme-Kopplung, also die gleichzeitige Erzeugung von Strom und nutzbarer Wärme. Während Großkraftwerke oft weniger als 40 Prozent der eingesetzten Energie verstromen und den Rest als Wärme ungenutzt in die Atmosphäre oder direkt in Flüsse abführen, kann die Kraft-Wärme-Kopplung Nutzungsgrade von 90 Prozent erreichen.

Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten hat Deutschland in diesem Punkt erheblichen Nachholbedarf: Der Anteil dieser Effizienztechnologie an der gesamten Stromerzeugung lag im Jahr 2006 hierzulande nämlich gerade bei 12,5 Prozent. Dänemark hingegen erreichte 41 Prozent, die Niederlande kamen auf 30 Prozent und auch Finnland ist mit bereits 35 Prozent erheblich weiter. Studien zeigen, dass das wirtschaftlich erschließbare Potenzial in Deutschland vergleichbar ist mit den genannten Ländern. Daher plant auch die Bundesregierung eine Verdopplung der Kraft-Wärme-Kopplung bis 2020 auf 25 Prozent.

Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie hat unterdessen ausgerechnet, dass bis 2015 rund 75 Milliarden Kilowattstunden Strom zusätzlich in vielen anderen Einsatzbereichen durch moderne Technik eingespart werden könnten. 5 Milliarden davon könnten durch die Substitution von Elektroheizungen vermieden werden, 1,5 Milliarden durch effizientere Bürobeleuchtung, 1,7 Milliarden durch bessere Kühl- und Gefriergeräte.

Effizientere Pumpen in den Heizungskellern bieten weiteres enormes Einsparpotenzial. Ein Viertel des gesamten Kohlestroms ließe sich durch effiziente Technik einsparen, rechnen die Wissenschaftler des Wuppertaler Instituts vor.

Wie 142 Milliarden kWh sparen?

Daher wird für die Zukunft der deutschen Stromwirtschaft gerade diese Frage ganz entscheidend sein: Wie effizient werden wir unseren Strom künftig einsetzen? Dazu ein Rechenbeispiel: Wenn der Stromverbrauch in Deutschland jährlich um 1 Prozent steigt, wird der Nettostromverbrauch von heute 541 Milliarden auf 616 Milliarden Kilowattstunden im Jahre 2020 wachsen. Gelingt es jedoch, den Verbrauch jährlich durch strikte Effizienzverbesserung um nur 1 Prozent zu reduzieren, kommen wir im Jahr 2020 mit 474 Milliarden Kilowattstunden aus. Die Differenz zwischen beiden Szenarien beträgt satte 142 Milliarden Kilowattstunden, das ist mehr, als alle Atomkraftwerke in Deutschland im vergangenen Jahr erzeugt haben.

So liegt in der Entwicklung des Stromverbrauchs die größte Unsicherheit aller Szenarien. Dass die erneuerbaren Energien ihre Erfolgsgeschichte fortschreiben werden, daran kann kein Zweifel bestehen. Die Frage, ob der Ausstieg aus der Atomkraft und der Klimaschutz gleichermaßen zu bewältigen sein werden, hängt jedoch vor allem davon ab, ob Energieeffizienz endlich zum Thema wird.

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