Energiepolitik in Japan: Der Öko-Irrtum der Japaner

Technologisch ist Japan führend bei erneuerbaren Energien. Dennoch ist der Gesamtanteil gering. Denn bis zur Katastrophe hielten Japaner die Atomkraft für grün.

Nein, das ist kein Bücherregal, sondern eine Windkraftanlage in Nagoya. Bild: ap

TOKIO taz | Es hat mal Zeiten gegeben, da haben die Japaner mehr als die Hälfte ihres Energiebedarfs aus regenerativen Quellen gewonnen. Bis etwa 1955 war das der Fall, bevor Japans steiler Wirtschaftsaufstieg begann. Damals waren die Ansprüche in dem noch nicht industrialisierten Land freilich nicht ganz so hoch wie jetzt. An kalten Winterabenden gaben sich viele Japaner zufrieden mit einem Bad in einer der heißen Quellen, die, über die gesamte Inselkette verteilt, en masse vorhanden sind.

Es hat auch mal Zeiten gegeben, da war Japan technologischer Vorreiter der Entwicklung von Windkraftanlagen, Photovoltaik und der Energiegewinnung aus Erdwärme. Und das ist noch gar nicht so lange her. Was die Photovoltaik betrifft, war der fernöstliche Inselstaat mit fast 40 Prozent der weltweiten Solarzellenproduktion bis 2006 führend, bevor ein Großteil der Produktion nach China abwanderte.

Und obwohl Japan bei der Nutzung von Windkraft weltweit nur an 13. Stelle steht, sind die Japaner als Hersteller neuer Windkraftanlagen immer noch führend. Trotzdem setzt Japan auf Atomkraft. Der Grund: Zumindest bis zur Katastrophe galt Nuklearenergie in Japan als umweltfreundlich. Durch Atomkraft wollten die Japaner das Klima retten.

Die japanische Atomindustrie betreibt derzeit 55 Meiler, die 35 Prozent des Strombedarfs abdecken. Das macht Japan nach den USA und Frankreich zum weltweit drittgrößten Betreiber von Atomkraftwerken. Bis zum Zeitpunkt der Reaktorunfälle in Fukushima am 11. März sahen die Pläne der Regierung vor, den Anteil des Atomstroms bis 2020 sogar auf bis zu 50 Prozent auszuweiten. Auf lange Sicht sollte der Anteil sogar auf 80 Prozent steigen. Allein in den kommenden sieben Jahren wollte die Regierung fünf weitere Meiler bauen lassen. Ziel der japanischen Führung war und ist es noch immer, die Abhängigkeit des Landes von importiertem Öl und Gas zu senken.

Beste Bedingungen für erneuerbare Energien

Dabei bietet Japan bereits seit einiger Zeit beste Bedingungen für die Nutzung regenerativer Energien. Und das nicht nur, weil das hoch entwickelte Land über die technischen Voraussetzungen verfügt. Auch die natürlichen Gegebenheiten sind in dem ansonsten rohstoffarmen Land sehr günstig. Bereits 2003 haben Experten von vier renommierten Umweltinstituten, darunter das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, in der sogenannten Energy Rich Japan-Studie festgestellt, dass Japan imstande ist, seinen gesamten Energiebedarf durch ein nachhaltiges Energiesystem zu 100 Prozent aus heimischen und erneuerbaren Energien abzudecken – und zwar auch ohne Atomkraft. "Dennoch können die Japaner ihren hohen Lebensstandard beibehalten", heißt es in der Studie.

Und in der Tat hat Japan viele hohe Berge mit sehr viel Niederschlag. Die Studie schlägt vor, dass viel Energie aus Wasserkraft bezogen werden könnte. Dank der umliegenden Meere wäre es möglich, dass die Windkraft ebenfalls einen deutlich höheren Anteil ausmacht als derzeit. Zugleich ist in vielen Teilen der Inselkette auch die Sonneneinstrahlung sehr hoch - laut den Experten um ein Viertel höher als in Mitteleuropa.

Dennoch liegt der derzeitige Anteil der erneuerbaren Energien am Primärverbrauch bei nicht einmal 3,5 Prozent. Davon kommen 75 Prozent aus Wasserkraft und etwa 15 aus Bioabfällen. Solar, Windkraft und Erdwärme machen jeweils nur magere 3 Prozent aus. Zum Vergleich: Die Deutschen gewinnen rund 17 Prozent ihrer gesamten Energie aus den Erneuerbaren.

Doch es ist nicht so, dass Japan kein Interesse am Ausbau der erneuerbaren Energien hätte. Im Gegenteil: Die starke Abhängigkeit von Öl und Gas aus dem Ausland hat Japaner schon vor vielen Jahren dazu angespornt, über Alternativen nachzudenken. Ganz oben auf der Prioritätenliste rangiert die Energieeffizienz. In keinem anderen Land der Welt ist die Industrie so fortgeschritten, was die Entwicklung und Herstellung energie- und ressourcensparender Haushalts- und Elektrogeräte angeht.

Prämien für Energiesparer

So gibt es seit den späten neunziger Jahren das "Top-Runner-Programm". In regelmäßigen Abständen werden sämtliche Geräte auf ihre Energieeffizienz getestet und die Geräte prämiert, die am sparsamsten sind. Ihr Verbrauch wird anschließend zum Standard erklärt, und alle Hersteller sind angehalten, innerhalb einer bestimmten Frist den Verbrauch ihrer Geräte an diesem neuen Standard auszurichten. Gelingt ihnen das nicht, drohen Sanktionen.

Mit einigem Erfolg: Neue japanische Kühlschränke, Reiskocher, Stereoanlagen oder Mikrowellengeräte verbrauchen weit weniger als etwa in ihren Leistungen gleichwertige Produkte aus Südkorea oder China. Auch Japans Klimaanlagen sind weltweit die sparsamsten. Seit Einführung dieser Regelung ist der private Stromverbrauch um fast 20 Prozent gesunken. Die Japaner verbrauchen pro Kopf zwar immer noch ein wenig mehr als die Deutschen, aber weit weniger als die US-Amerikaner oder etwa auch die Menschen im benachbarten Taiwan.

Und auch sonst ist das Thema Ressoureneffizienz in fast allen Lebensbereichen präsent: In vielen Wohnungen und Häusern werden deswegen keine Heizungen flächendeckend installiert, damit die Menschen an den wenigen Wintertagen mit mobilen Heizern gezielt nur die Räume beheizen, in denen sie sich aufhalten. Das Leitungswasser, das die Japaner nach dem Toilettengang zum Händewaschen benutzen, verwenden sie anschließend zum Klospülen. Auch bei der Entwicklung von Elektrofahrzeugen sind die Japaner ganz vorne dabei - etwa bei den Hybridautos von Toyota und Honda.

Technologisch ist eine Energiewende in Japan also schon seit einiger Zeit möglich. Bislang fehlte es bloß am politischen Willen. Und der bleibt auch nach dem Desaster vom 11. März bislang aus, abgesehen von einigen Provinzpolitikern und Gouverneuren, die sich nun vor allem gegen neue AKWs in ihren Präfekturen aussprechen. Die Regierung in Tokio hält sich bei Fragen zur Zukunft der Atomanlagen im Land zurück.

Immerhin hat es inzwischen erstmals seit der Katastrophe von Fukushima auch japanische Anti-Atomkraft-Demonstrationen gegeben. Am Wochenende gingen laut der Nachrichtenagentur Kyodo 17.500 Menschen auf die Straße.

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