: Ene mene Hexenbrei
■ Magenkrämpfe und Schlafstörungen von wegen der neumodischen Hexerei Von Dr. phil. Iris Schneider
Hexen sind angesagt. Esoterik, Okultismus und sogar Satanismus haben kräftige Konjunktur. Im Gegensatz zu früher sehen die Hexengläubigen heute aber mehr die positiven Seiten der Magie: Heilung jenseits der Schulmedizin, Erkenntnis der eigenen Möglichkeiten durch Tarot beispielsweise. Aber auch Macht und Einfluß werden mit der Hexerei assoziiert. In Hamburg leben und wirken heute wieder Menschen, die glauben magische Fähigkeiten zu haben.
Besonders beliebt sind zur Zeit Regressionen. Das sind Rituale, die Menschen in Trance versetzen. In diesem Zustand reisen sie dann in die Vergangenheit und erleben Szenen aus „früheren Leben“ erneut. Solange diese Reisen harmonische Bilder zeigen, eine harmlose Angelegenheit. Viele TeilnehmerInnen glauben aber insgeheim an ihre eigenen magischen Kräfte und sehen sich dann plötzlich als Hexe auf dem Scheiterhaufen.
Von solchen Zeitströmungen bleibt auch das „Johan-Kruse-Archiv zur Bekämpfung des neuzeitlichen Hexenglaubens“ nicht frei. Der Gründer Johann Kruse war noch ganz Rationalist mit ungebrochenem Glauben an die Erklärungsmacht der Naturwissenschaften. Seit seiner Jugend widmete sich der 1889 geborene Dithmarscher der Bekämpfung des Aberglaubens. Zum Schlüsselerlebnis wurde für ihn eine Szene in der Küche seines Elternhauses: Eine Frau aus dem heimatlichen Dorf bat Mutter Kruse flehentlich um Asyl, weil sie im Ort als Hexe verfemt wurde. Von da an hat Kruse alles gesammelt, was über Hexen geschrieben wurde. Häufig recherchierte er die Geschichten nach, um eine natürliche Erklärung für das Geschehen zu finden. So wurde der Volksschullehrer im Laufe der Zeit zu einer regionalen Berühmtheit in Hexenfragen. Verhexte und als Hexen verrufene Frauen suchten seinen Rat.
Die heutige Leiterin des Hexenarchivs, Birgit Boetius, sieht mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu, daß der Hexenglauben starke Emotionen auslösen kann, die oft von einer ungeheuren Destruktivität sind. Beispiele dafür findet sie allerdings hauptsächlich in der umfangreichen Korrespondenz des Archiv-Vaters Kruse.
In ihre Hexenarchiv-Sprechstunde donnerstags im Museum für Völkerkunde kommen heute hauptsächlich BesucherInnen, die sich für das Wissen der einst verfolgten Hexen interessieren. Was wußten die weisen Frauen, die im ausgehenden Mittelalter auf den Scheiterhaufen verbrannt wurden? Hatten sie besonderes Wissen über Familienplanung und Geburtshilfe? Sind sie deshalb verfolgt worden? Eine einfache Antwort kann es darauf nicht geben, meint Birgit Boetius und widerspricht damit den Strömungen in der Frauenbewegung, die die historischen Hexen zum neuen Vorbild machen wollen.
Ende der siebziger Jahre war das Interesse an der Epoche der Hexenverfolgung und damit auch an den Hexen neu erwacht. Eine studentische Arbeitsgemeinschaft zeigte 1978 zum erstenmal ihre „Hexenausstellung“ im Museum für Völkerkunde. Diese Ausstellung war es auch, die Kruse dazu brachte, seine Materialien dem Museum für Völkerkunde zu vermachen. Ironie des Schicksals: Das Museum wollte nicht in die Ausstellung investieren, die eine der erfolgreichsten Veranstaltungen der letzten zwanzig Jahre wurde. Noch heute touren die Exponate durch die Republik.
Hexerei ist immer ambivalent: Auf der einen Seite dient sie als Erklärung für Krankheit, Unglück und Tod. Menschen, die der schwarzen Magie verfallen sind, leben in einem hermetischen Angstsystem. Jeder Laut, jedes Gluckern in der Wasserleitung kann ein böses Omen sein. Andererseits kann die „weiße Magie“ Menschen auch helfen, Unglück zu überwinden. Magische Rituale übersetzen Wünsche und Hoffnungen in sinnliche Bilder. Viele außereuropäische Kulturen setzen solche Rituale deshalb auch gezielt als Heilmittel ein. Wie solche Medizin wirken kann, untersuchen Medizin-EthnologInnen seit einigen Jahren. Was sie herausgefunden haben, kann mensch in einer Vortragsreihe im Museum für Völkerkunde hören: Sie gibt Einblick in magische Praktiken von Süddeutschland bis Papua-Neuguinea.
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