: Endstation Zeitreise
Für alle Katastrophen verantwortlich: Mit „Adolf II“ zieht der Hamburger Zeichner Walter Moers den Mythos Hitler nun durch den Kakao der Geschichte ■ Von Ole Frahm
Ein Unbehagen beschleicht dieser Tage alle aufmerksamen Zeitgenossen: Adolf, die alte Nazi-Sau, ist schon wieder da. Zwar wussten wir zur Genüge, dass er nie fort war, sondern wie viele Nazis alle Gefahren unbeschwert überlebt hat und irgendwann heute in Paraguay, Südamerika weilt, um eine Leberwurst-Sushi-Bar zu betreiben – aber nun mischt sich Adolf wieder in die Geschichte ein. Keine Frage, der dritte Weltkrieg ist nah.
Zum Glück passiert das alles nur im Comic und wir sollen erleichtert lachen über dieses kleine Arschloch mit Schnurrbart und Scheitel, diese Witzfigur von Walter Moers. Nach dem Erfolg des ersten Bandes hat der in Hamburg lebende Zeichner jüngst einen zweiten Teil von Adolf, die alte Nazi-Sau veröffentlicht. An den ersten Band erinnern wir uns gerne: Alle populären Mythen unserer Zeit waren auf den Mythos Hitler als Adolf abgebildet. Moers nutzte den Comic als Möglichkeit, die populäre Kultur derart zu affirmieren, dass deren zahlreichen Mythen unerträglich und lustig zugleich wurden. Nach diesem Rundumschlag, der Godzilla ebenso wie Lady Di und Mutter Theresa traf, schien nichts übriggeblieben zu sein. Kein Fortsetzung folgt... Weit gefehlt. So leicht lässt sich Hitler nicht erledigen.
Moers ist ein überlegter Zeichner, der um seine Mittel besser weiß, als die immer laxen Bilder glauben machen. Die unkorrekte Hauptfigur Adolf kehrt nicht grundlos wieder. Hitler ist nicht nur ein Mythos der Popkultur, er ist auch ein Mythos der Geschichtsschreibung. Wenn Moers im ersten Teil komisch kommentierte, mit welcher Selbstverständlichkeit sich Adolf in die gegenwärtige massenmediale Kultur einfügen lässt, so beansprucht die Story diesmal, den historischen Mythos Hitler durch den Kakao der gesamten Weltgeschichte zu ziehen. Mittels des Zeitreisehelms von Prof. Pickel vermag die Nazi-Sau nicht nur den Tod Kennedys, den Untergang der Titanic und Nietzsches Wahnsinn zu verursachen, er hätte auch beinah Jesus ans Kreuz genagelt.
Kurz: Adolf ist für alle Katastrophen der Geschichte verantwortlich. Natürlich hat er den ersten Weltkrieg ausgelöst, natürlich hat Courtney Love wegen ihm Kurt Cobain erschossen, natürlich ist Monika Lewinsky in Wirklichkeit Dr. Mengele etc. Das klingt und ist nicht selten witzig. Leider langweilt es auch. Denn so ein Zeitreisehelm funktioniert wie ein deus ex machina, der Adolf aus jeder noch so blöden oder gefährlichen Situation problemlos und unmotiviert rettet. Solch miese Dramaturgie wäre wenig schlimm, wenn sich Moers mit diesem Trick nicht zugleich vor der eigentlichen Aufgabe dieses Comics drücken würde: Sich dem Mythos Hitler in seiner Zeit zu stellen. Der fortschreitenden Enthistorisierung des Nationalsozialismus durch die Dämonisierung Hitlers (und damit der Entschuldung der Wehrmacht) mit einer Witzfigur zu begegnen, wäre nach Martin Walsers Sonntagsrede ein wunderbares Programm für einen komischen Comic gewesen. Adolf II löst es nicht ein.
Und so bleibt ein Unbehagen, ob es nach 150 000 Exemplaren von Adolf I nicht doch darum geht, dass „wir“, „Deutsche“, endlich wieder befreit lachen dürfen – unterwegs mit Zeitreisehelm: unbelastet von jeder historischen Verantwortung vor unserer Geschichte.
Walter Moers: Adolf, Teil II, Eichborn Verlag, Frankfurt 1999, 29,80 DM.
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