: Endstation: Lebenslüge
■ Inszenierung eines Niedergangs: „Blanche's Sehnsucht“
Sehnsucht ist Suche, bis sie zu einer unendlichen, nicht zu stillenden Anstrengung wird. Sehnsucht ist der Tod. – Mit ihrem Diplomprojekt Endstation: Blanche's Sehnsucht verwandelt Sarah-Maria Bürgin Tennessee Williams' Endstation Sehnsucht von 1947 erfolgreich in ein Psychogramm der Hauptperson, Blanche du Bois. Auf den letzten Akt des Stückes konzentriert, zeigt sie Blanche (Gisela Jürcke) als abgeschminkte Diva, die sich in einem Netz aus Lügen und Täuschungen verfängt und schließlich an ihren Träumen zerbricht.
An ihrem Geburtstag wird Blanche ein letztes Mal in der Bar, in der sie feiert und trinkt, noch bejubelt, aber eigentlich haben alle Beteiligten längst ihr eitles, kraftloses Spiel durchschaut – ihr neuer Lover Mitch ebenso wie ihr Schwager Stenley; einzig ihre Schwester Stella (Patrizia Noçon) hält länger zu ihr, aber auch sie kann Blanche am Ende nicht vor sich selbst retten.
In dem vielseitig stimmungsvollen Bühnenbild der Bar und dem liebevollen Licht wird Blanches unaufhaltsamer Niedergang schonungslos offengelegt: Verlust des Gutes „Belle Rêve“, Kündigung, Alkohol, ihre kleinen und großen Lebenslügen, ihr Spott über das Leben anderer. Und obwohl Blanches Trostlosigkeit die Szenen beherrscht, wird ihre selbstverzehrende Sehnsucht immer wieder kurz von einem Hoffnungsschimmer, einem Anflug von Lebendigkeit unterbrochen: Ein hübsches Blumenmädchen (Anna-Franziska Bürgin), tritt wiederholt an Blanche heran, doch sie verdrängt sie jedes Mal, und nur einmal, als sich das Mädchen in einer Szene an Blanche klammert und sich wie ein zweites Ich von ihr löst und tanzt, scheint es, als begegneten wir hier Blanches verlorengegangener Sehnsucht.
Geschickt hat Sarah-Maria Bürgin Tennessee Williams' Vorlage entrümpelt und dennoch originalgetreu umgesetzt. Zu keinem Zeitpunkt lässt sie Mitleid mit ihrer Blanche aufkommen; alle wenden sich ab, selbst das Blumenmädchen lässt sie allein.
Christian T. Schön
heute und morgen, 19.30 Uhr, Kampnagel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen