: Endspiel mit Rhythmus und Musik
Vor dem heutigen WM-Endspiel zwischen Südafrika und Brasilien ist der ganze Ku’damm schon zur Tanzfläche geworden. Nach dem frühen Ausscheiden der deutschen Mannschaft geht die Polizei auf Nummer sicher. Berlin hofft auf WM-Effekte
von UWE RADA
Südafrikanische Tänze rund um den Pfefferberg in Prenzlauer Berg, Sambaklänge auf dem Kurfürstendamm – im Vorfeld der Fußball WM 2006 ist die Hauptstadt zur Tanzfläche geworden.
Mbeko Tbengi kann es noch gar nicht fassen. „Der Ausgleich war auch eine ausgleichende Gerechtigkeit“, sagt er, nicht ohne dem unglücklichen Verlierer des Halbfinales Respekt zu zollen. „Frankreich war ein großartiger Gegner“, sagt er, „und hätte den WM-Titel mindestens so verdient wie Südafrika oder Brasilien.“
In Südafrika sitzt der Schock noch tief
Schätzungsweise 5.000 Fans aus Südafrika und 25.000 Anhänger der brasilianischen Ballzauberer befinden sich schon seit Tagen in Berlin. Fragt man sie nach dem Favoriten für das heutige Endspiel im Olympiastadion, antworten sie fast alle: „Brasil“.
Doch den südafrikanischen Anhängern ist diese Außenseiterrolle nur recht. 3:1 im Elfmeterschießen gegen Frankreich und ein glückliches 1:0 gegen die Vereinigte Republik von Korea im Viertelfinale: Damit hätte vor dem Turnier niemand gerechnet. Tbengis Genugtuung ist jedenfalls riesig: „Jetzt können wir unseren deutschen Gastgebern zeigen, dass Südafrika eine Fußballnation ist.“ In Südafrika sitzt der Schock über die unglückliche Niederlage bei der Bewerbung vor sechs Jahren in Zürich noch immer tief.
Brasilien hat sich unterdessen ganz auf die Favoritenrolle eingerichtet. Seit Tagen schon hat sich die Mannschaft im luxuriösen Trainingslager im polnischen Zielona Góra wieder abgeschirmt. Vier Jahre vor der Weltmeisterschaft im eigenen Land wollen die Kicker vom Zuckerhut unter Beweis stellen, dass die Endspielniederlage in Frankreich 1998 ein Ausrutscher war.
Dass ihre Mannschaft heute Abend gewinnen wird, ist für die brasilianischen Fans ohnehin kein Thema. Seitdem der Karneval der Kulturen unter kräftiger Mithilfe des Regierenden Bürgermeisters Michael Naumann (SPD) dem Londoner Spektakel in Notting Hill den Rang abgelaufen hat, sind die brasilianischen Sambarhythmen in Berlin ohnehin Heimatklänge geworden.
Gleichwohl wurden die Sicherheitsvorkehrungen vor dem Endspiel noch einmal verstärkt. Zwar hatte es die befürchteten Übegriffe auf dunkelhäutige Spieler in Berlin nicht gegeben. Doch viele deutsche Fans haben die Vorrundenniederlage gegen Kasachstan noch immer nicht verkraftet. Die Polizei wird deshalb mit einem Aufgebot von 6.000 Beamten, darunter auch der Krisenreaktionskräfte des BGS im und um das Olympiastadion im Einsatz sein.
Daum schlägt Beckenbauer nieder
Überschattet wird das Berliner Fußballfest allerdings von der Suche nach einem neuen Teamchef. Nach dem Faustschlag von Bundestrainer Christoph Daum gegen Bayern-Präsident Franz Beckenbauer hatte DFB-Präsident Gerhard Meyer-Vorfelder bereits gestern verkündet, einen „ruhigeren Zeitgenossen“ zu bevorzugen. Daum hatte Beckenbauer angegriffen, nachdem der sich geweigert hatte, den Bayern-Zugang Jens Nowotny für das letzte Vorrundenspiel gegen Kasachstan freizugeben.
„Trotz des deutschen Debakels geht die deutsche Hauptstadt aber als Sieger aus dieser WM hervor“, erklärte unterdessen Michael Naumann. Der Regierende Bürgermeister erhofft sich vom Endspiel auch positive Signale für den Bau des geplanten Großflughafens Berlin-Brandenburg in Schönefeld. Naumann wörtlich: „Wir hoffen, dass der Flughafen im Jahre 2013 in Betrieb gehen kann.“
Optimistisch zeigte sich auch die Wirtschaft. Kurz vor der Weltmeisterschaft hatte die amerikanische Fluggesellschaft Delta Airlines die seit 1997 eingestellte Direktverbindung zwischen den USA und Berlin wieder aufgenommen. „Wir sind zuversichtlich“, sagte der Präsident der Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), Paulus Neef, „dass Delta die Verbindung aufrechterhält.“ Die Airline hatte angekündigt, nach dem Ende der WM die Destination Berlin wieder einzustellen und stattdessen Halle/Leipzig anzufliegen.
Unterdessen sind im Olympiastadion die letzten Vorbereitungen für das Finale abgeschlossen worden. Ein Bericht der Berliner Seiten der FAZ über einen angeblichen Konstruktionsfehler im Dach der 500-Millionen-Mark-Arena erwies sich im Nachhinein als Fake. Wie der Ressortleiter der Berliner Seiten mitteilte, hätte dies auch Bausenator Peter Strieder (PDS) auffallen müssen. Immerhin fand sich auf dem Gutachten, das den angeblichen Fehler belegen sollte, die Adresse der Baufirma Hochtief. Noch als SPD-Politiker hatte Strieder der Augsburger Firma Walter Bau den Vorrang vor Hochtief beim Umbau des 1936 errichteten Stadions gegeben und sich die Baufirma damit zum Feind gemacht.
Am Ku’damm und am Pfefferberg spielen die Berliner Possen freilich keine Rolle. Hier herschen die Farben grün und gelb vor. „Wir werden Weltmeister“, meint Jorge Paolo aus Curitiba, „auch wenn alle unsere Weltmeister in der Bundesliga spielen“. Na immerhin, ein Trostpflaster bleibt den Deutschen also noch.
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