: Ende einer Europa-Expedition
Champions-League-Lehrling Hertha BSC Berlin erlebt im Stadion Nou Camp reichlich unbekannte Phänomene: Kapriolen, Kurzpässe, Kunststücke – und unterliegt dem FC Barcelona locker mit 1:3
aus BarcelonaMATTI LIESKE
Auf den ersten Blick hatten Jürgen Röber und Louis van Gaal einiges gemeinsam, als sie Rede und Antwort standen nach dem 3:1-Sieg des FC Barcelona in der Champions League gegen Hertha BSC. Die Teams beider Herren erwarten am Samstag den Spitzenreiter ihrer jeweiligen Liga, und beide blickten sie drein, als hätten sie soeben aus Versehen den Champions-League-Pokal höchstselbst verschluckt.
Van Gaal tat dies aus angeborener Bärbeißigkeit, Herthas Röber, weil er den von ihm mit tief empfundener Ehrfurcht absolvierten Besuch im Nou Camp gern etwas glanzvoller gestaltet hätte. Gesprochen hatte der Hertha-Trainer zuvor viel von der Außenseiterrolle seiner Mannschaft, von der Übermächtigkeit des Gegners, von der bescheidenen Absicht, sich wenigstens „gut verkaufen“ zu wollen. Geträumt aber hatte er vom veritablen Däumlingscoup gegen einen der Favoriten der Champions League, um dann drei Tage später im heimischen Olympiastadion moralisch gestärkt einem anderen, den Münchner Bayern, entgegen zu treten.
Flügel bekamen Röbers Träume, als Alex Alves bereits in der siebten Minute das 1:0 für die Berliner erzielte, doch nach drei Toren des FC Barcelona sorgten dann auch die trockenen Worte von Louis van Gaal für eine Rückkehr in die harsche Realität und verdeutlichten, dass es mit den Gemeinsamkeiten am Ende doch nicht so weit her ist. „Für mich gibt es keine leichten Siege“, dozierte der Niederländer, nachdem spanische Journalisten angemerkt hatten, dass diese zweite Runde der Champions League für die Katalanen ja wohl ein Spaziergang gewesen sei. „Sogar heute“, fuhr van Gaal mit Betonung auf dem Wort sogar fort, sogar heute sei immerhin der Gegner in Führung gegangen. „Wir haben nicht so gut gespielt in der ersten Halbzeit, in der zweiten dann eher so, wie Barça spielen kann.“
Es reichte zu einer kleinen Lehrstunde für die Hertha, zu einem Fußball voller Bewegung, Flügelwechseln, Kurzpassstafetten, technischen Kapriolen, einer „gewissen Zirkushaftigkeit“ (El País) und zu zahlreichen Torchancen, die entweder vom hervorragenden Rückkehrer ins Hertha-Tor, Gabor Kiraly, zunichte gemacht oder von Patrick Kluivert mit gewohnter Nonchalance vergeben wurden. Am Ende wurde die arme Hertha gar ein wenig vorgeführt. Das Publikum johlte, als sein Liebling, der kantige Winston Bogarde, den dreifachen Buchwald-Übersteiger darbot, und erst recht, als Kluivert und Rivaldo immer kühnere Varianten des fersenorientierten Doppelpasses ersannen.
Die Barcelonesen hatten sichtlich Vergnügen in diesem Match, das von der heimischen Presse vorher als „unwichtig“ klassifiziert worden war: erstens so gut wie gewonnen, zweitens nur dazu nütze, den bereits für das Viertelfinale qualifizierten Katalanen den Gruppensieg zu sichern und Figo sowie Abelardo die Chance zu geben, sich ihre zweite gelbe Karte abzuholen, um nächste Woche gegen Prag und nicht im Viertelfinale gesperrt zu sein (siehe Text links). Auch dieses Vorhaben gelang van Gaals Mannen zur Freude der heftig applaudierenden Zuschauer im halb vollen Nou Camp mit Bravour.
Trotz des Klassenunterschieds war Röbers Team jedoch keineswegs untergegangen und hatte seinen Teil zu einem unterhaltsamen Spiel beigetragen. Was den Hertha-Trainer so fuchtig machte, waren die Gegentore, die alle nach unnötigen Ballverlusten fielen. „Wenn wir länger zu null spielen, haben wir vielleicht die eine oder andere Möglichkeit zu kontern“, begann Röber wieder zu träumen, gab dann aber schnell zu, gegen diese Leute könne man „eigentlich die Uhr danach stellen, wann der Ausgleich kommt“.
Für Hertha ist das Abenteuer Champions League beendet, und die Wege der beiden grimmigen Herren auf dem Podium trennen sich endgültig. Für die Berliner geht es darum, durch mühseliges Punkteklauben in der Bundesliga eines Tages, wie von Jürgen Röber prophezeit, große Dinge auch in der Champions Legaue zu vollbringen. Diesmal trat sie dort noch wie eine Expedition auf, die sich verschüchtert und staunend durch unerforschtes Gebiet kämpft und froh ist, wenn sie mit einigermaßen heiler Haut davon kommt.
Van Gaals Team hat sich nach dem blamablen 0:3 bei Real Madrid vor drei Wochen in eine bestechende Form gespielt und wird nicht nur von Röber „neben Bayern München und Manchester United“ als Topfavorit für den Europacupgewinn betrachtet. „Wir gehen mit mehr Freude und Entschlossenheit aufs Spielfeld“, sagt der Brasilianer Rivaldo. Bis auf zwei Punkte kann Barça mit einem Sieg gegen La Coruña an die Galizier herankommen. Was Luis van Gaal zu der für seine Verhältnisse recht deutlichen Aussage treibt: „Die Partie könnte ein bisschen entscheidend sein.“ Wer war doch gleich noch mal Hertha BSC?
FC Barcelona: Hesp - Puyol, Abelardo (53. Dehu), Frank de Boer, Bogarde - Ronald de Boer (71. Litmanen), Xavi, Gabri - Figo (46. Simao), Kluivert, Rivaldo Hertha BSC Berlin: Kiraly - Rehmer (59. Neuendorf), Herzog, Sverrisson, van Burik (57. Wosz) - Covic, Schmidt (78. Sanneh), Michalke, Hartmann - Preetz, Alves Zuschauer: 60.000.Tore: 0:1 Alves (7.), 1:1 Xavi (11.), 2:1 Gabri (49.), 3:1 Kluivert (83.)
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