Ende der EU-Ratspräsidentschaft: Wo war denn Schweden?
Die Sorgen, dass Stockholm beim Klima und Naturschutz bremsen würde, bewahrheiteten sich. Die schwedische Ratspräsidentschaft endet am Freitag.
Sicherer ist die EU nicht geworden. Es sei denn, mensch glaubt, dass mehr Aufrüstung zu mehr Sicherheit führt. Und falls die EU ein Stück grüner geworden sein sollte, so nicht wegen, sondern trotz Stockholm. Galt Schweden einst als klimapolitisches Vorbild, war in Brüssel die Unruhe gewachsen, nachdem im letzten Herbst klar wurde, was für eine Konstellation das Land künftig regieren würde: eine Rechtskoalition, deren Politik von einem Abkommen mit den rechtsextremen Schwedendemokraten bestimmt wird. Einer Partei, die einen „Swexit“ anstrebt. Dazu die Einigung auf ein Regierungsprogramm, in dem das Klimabudget um Milliarden gekürzt wurde und alle klimapolitischen Maßnahmen unter dem Vorbehalt stehen, Wirtschaft und Privathaushalte nicht zu belasten.
Die Bedenken wuchsen noch nach der Botschaft von Umwelt- und Klimaministerin Romina Pourmokhtari im vergangenen November bei der COP 27 in Ägypten: Der schwedische Klimagasausstoß in den kommenden Jahren werde wachsen, eine „Klimaneutralität“ bis 2045 sei nicht zu erreichen, Schweden strebe keine Vorreiterrolle mehr an. Im EU-Parlament und von EU-Klimaschutzkommissar Frans Timmermans wurde daraufhin das Motto ausgegeben: so viel wie möglich unter der tschechischen Ratspräsidentschaft unter Dach und Fach bringen, bevor Schweden übernimmt und alles ausbremst.
Kritik an Schweden auch wegen Naturschutzgesetz
„Warum lügst du?“, reagierte nun auch Christian Valtersson, Politik- und Kommunikationschef in der EU-Kanzlei der grünen Miljöpartiet auf einen Tweet der Wirtschaftsministerin Ebba Busch vergangene Woche – „wir haben das EU-Klimapaket ‚Fit-für 55‘ über die Ziellinie gebracht“, schrieb sie. Es war ein Kompromiss über die Erneuerbare-Energien-Richtlinie, die mit der Anrechnung von Atomstrom auch ganz den Vorstellungen der schwedischen Regierung entsprach. Andere Teile des Pakets hatte man von vornherein gar nicht erst angepackt.
Kritik erntete Schweden auch für den Umgang mit dem Naturschutzgesetz. Die „große Entschlossenheit“, die Ministerpräsident Kristersson angekündigt hatte, bestand darin, dass Schweden wie andere konservativ regierte EU-Länder alles daran setzte, es möglichst zu verwässern. Mehr noch: Man versuchte es zwischenzeitlich ganz von der Tagesordnung abzusetzen.
Deutschland, Frankreich und Spanien schickten daraufhin einen formellen Protest nach Stockholm, die belgische Umweltministerin Zakia Khattabi beklagte einen „regelrechten Coup“.
Weil der dann doch nicht gelang, stimmte Schweden im Ministerrat kurzerhand gegen den selbst vorgelegten Entwurf. Die regierende Zentrumspartei sorgte mit ihrer ausschlaggebenden Stimme dafür, dass der am Dienstag auch im Umweltausschuss des Europaparlaments scheiterte. Die eigenen Interessen so offensichtlich über die kollektiven Interessen der Mitgliedsstaaten zu stellen, sei „bemerkenswert“, kritisierte Gustaf Lind, Generalsekretär von WWF-Schweden.
Frei von Migration
Eher im Sinne dieser schwedischen Regierung war der Kompromiss zum Asyl- und Migrationspakt. Wo man die Fraktion stärkte, die eine zwingende Umverteilung von Asylsuchenden ablehnt. Falls Kristersson mit einem „freieren Europa“ eines frei von Migration gemeint haben sollte, hat Schweden die EU diesem Ziel tatsächlich näher gebracht. Wobei, unter einer sozialdemokratisch geführten Regierung hätte es wohl nicht wesentlich anders ausgesehen. Es war schließlich die Parteigenossin und EU-Innenkommissarin Ylva Johansson, die seit 2020 auf diesen Kahlschlag des Asylrechts hingearbeitet hatte.
In der schwedischen Öffentlichkeit blieb der Ratsvorsitz nahezu unsichtbar. Fast alle Treffen waren in einem passenderweise „Hangar“ und „Bunker“ getauftem abgeriegeltem Konferenzzentrum 45 km von der Hauptstadt entfernt. „Man wollte uns nicht einmal in Stockholm haben“, zitierten Medien verwunderte Diplomaten und Journalisten.
Ein Bild, das von der nach 2001 und 2009 dritten Ratspräsidentschaft im Gedächtnis bleiben könnte, war das Auftakttreffen im Januar mit dick vermummten Regierungschefs im verschneiten Kiruna. Ein PR-Erfolg auch, weil man da ein schon vor Jahren entdecktes Vorkommen an „seltenen Erden“ als Neuigkeit verkaufte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“