: Emo-Core um zwanzig nach acht
Putzige Musikszene im Schnittfeld von Pop-Melodien, süßlicher College-Rock-Prägung und traditionsbewusstem Röhr(en)rocksound: „The Get Up Kids“ und „Hot Rod Circuit“ erklären am Montag in der Fabrik (vielleicht) ihr Genre
von MARKUS FLOHR
Es war letztes Jahr im Herbst, genauer gesagt: im November, da spielte die Emo-Core-Band At The Drive-in im Rahmen einer komplett ausverkauften Deutschland-Tour in der Hamburger Fabrik. Ein weiteres Konzert in Bremen gab die Band noch – danach löste sie sich auf. Der Grund: At The Drive-in kamen mit dem ihnen allerorten entgegengebrachten Zuspruch nicht klar, auf den Konzerten war ihnen zu viel los, so hieß es. Klarer Fall: Profilneurose, das Kurt-Cobain-Syndrom.
Umgebracht haben sie sich nicht (stattdessen Nachfolgebands aufgemacht), und es sind heuer nicht die Wollkopf-Derwische aus Texas, die sich anschicken, Hamburgs Hornbrillen- und Trainingsjackenträger zu beglücken. Sondern The Get Up Kids, vielleicht die Emo-Core-Band der Stunde schlechthin. Wer jetzt nicht weiß, was das ist, Emo-Core, ist entweder zu alt oder hat sowieso schon verloren, und sollte sich für den Abend lieber mit seiner Motörhead-Plattensammlung auseinandersetzen. Oder fernsehen. Denn eine Antwort wird auch in der Fabrik nicht gegeben werden.
Ebenfalls nichts ausrichten kann da das Sezierbesteck der klassischen Kulturkritik; aufgedröselt steht der Wortbestandteil „Emo“ für „Emotional“, „Core“ kommt von „Hardcore“. Es geht also um emotionale, dabei harte Rockmusik. Doch der Teufel steckt im Detail. Denn wenn etwas, also eine Band, „Emo-Core“ ist oder auch nur so genannt wird, wollen die Angesprochenen dies meist gar nicht hören. Schubladen, Labels, Verbindlichkeiten sind eben scheiße, zumindest das ist ein Grundsatz dieser putzigen Musikszene im Schnittfeld von träumerischen Pop-Melodien, süßlichem College-Rock und traditionsbewusstem Röhr(en)verstärker-Gitarrenrock-Klangbild.
Eine besonders skurrile Form von Understatement ist es wohl auch, wenn, nun ja, Emo-Coreler sich allgemein äußerst stilbewusst geben, einen nicht festgeschriebenen (aber gleichwohl vorhandenen) Dresscode genauso wie den fast schon adornitischen Charme des Richtigen (Emo-Core) im Falschen (Musikbusiness) leben und pflegen – und vor allem eines nicht sein wollen: bekannt oder gar beliebt in Rundfunk und Blätterwald. Emo-Core ist eine Geheimwissenschaft, ein Darum-Wissen statt eines Danach-Fragens. Die letzten Guten, eine unterrepräsentierte Minderheit, unter deren Angehörigen die Get Up Kids aber mit Sicherheit immer noch mehrheitsfähig sind.
Das Quintett zeichnet immerhin für die zentrale Veröffentlichung der Szene verantwortlich: Das im Herbst 1999 veröffentlichte Album Something To Write Home About ist so etwas wie das Emo-Core-Pendant zu Nevermind, gleichwohl brachte es die Kids auf die Abschussliste traditionsbewusster Indie-Hardliner. Denn der Silberling wurde für Europa nach dem Release auf dem bandeigenen Vagrant-Label ein zweites Mal verffentlicht – über die zentrale Punkrock-Vermarktungsstelle Epitaph. Und das ist ein Sakrileg, zumal Something... in der Zweitversion plötzlich zwei Songs mehr enthielt. Unverschämtheit! Die treue – und stetig wachsende –Fangemeinde hat es ihnen wohl verziehen, und so kann sich jeder, der gerne erfahren möchte, was es mit dem „Emo“ auf sich hat – oder das neue Album der Band, On A Wire, live hören möchte – aufs Konzert freuen. Es sei denn, die Band löst sich bis dahin auf, etwa weil schon zu viele Tickets verkauft worden sind. Das wäre dann echter Emo-Core um zwanzig nach acht (wie es einmal bei But Alive hieß).
mit Anniversary: Montag, 21 Uhr, Fabrik
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