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Eltern mit Mord bedroht

Eine protestantische Terrororganisation in Nordirland hat die Eltern der katholischen Schulkinder in Nordbelfast zu „legitimen Angriffszielen“ erklärt. In Belfast eskaliert nach dem Tod eines protestantischen Jugendlichen jede Nacht die Gewalt

aus Dublin RALF SOTSCHECK

Eltern, die ihre Kinder zur katholischen Holy-Cross-Grundschule im nordirischen Belfast bringen, haben Morddrohungen erhalten. Die Red Hand Defenders – ein Tarnname, hinter dem sich die Ulster Defence Association (UDA) verbirgt, die offiziell im Waffenstillstand ist – haben die Eltern gestern zu „legitimen Angriffszielen“ erklärt.

Die Organisation hat vorgestern einen Bombenanschlag auf die Schulkinder verübt, bei dem vier Polizisten verletzt wurden. Seit Schulbeginn am Montag eskortieren Polizisten in Kampfanzügen die vier- bis elfjährigen Mädchen, weil die letzten 300 Meter durch ein protestantisches Viertel führen. Auf diesem Stück werden die Kinder von den Anwohnern der protestantischen Glenbryn-Siedlung täglich beschimpft, bespuckt und mit Steinen beworfen.

Die Polizei war gestern froh, dass es zum ersten Mal seit Montag keine physische Gewalt gegen die Kinder und ihre Eltern gab. Die Proteste von rund hundert Anwohner der Glenbryn-Siedlung beschränkten sich auf eine Geräuschkulisse mit Hilfe von Trillerpfeifen und Mülltonnendeckeln. Der stellvertretende Polizeichef Alan McQuillan sprach von einem „bedeutenden Wandel in der Art des Protestes“. Gerry Kelly von Sinn Féin, dem politischen Flügel der IRA, sagte dagegen: „Es ist zwar besser als am Vortag, weil es keine physischen Angriffe gab, aber die Kinder haben immer noch Angst. Es ist ein Irrtum, das als friedlichen Protest zu bezeichnen.“

Nigel Dodds von der Democratic Unionist Party des reaktionären Pfarrers Ian Paisley forderte die Eltern auf, ihre Kinder auf einer alternativen Route durch die Hintertür einer katholische Jungenschule zur Holy Cross School zu bringen. Unionistenführer David Trimble warnte, dass sich die Auseinandersetzungen auf andere Schulen in der Gegend ausweiten könnten. Der britische Nordirland-Minister John Reid hat seinen Urlaub abgebrochen und ist gestern nach Belfast gereist, um mit Vertretern beider Bevölkerungsgruppen nach einer Lösung zu suchen.

Auch an anderen Stellen in Nordbelfast, wo zahlreiche protestantische und katholische Viertel aneinanderstoßen, eskaliert die Gewalt. Mittwochnacht kam es an zahlreichen Brennpunkten zu Straßenschlachten, aus dem Glenbryn-Viertel feuerte jemand Schüsse aus einer Maschinenpistole ins benachbarte katholische Viertel.

Auslöser für die Zusammenstöße war der Tod eines protestantischen Jugendlichen am Dienstag. Der 16-jährige Thomas McDonald war mit seinem Rad auf einem Gehweg zwei Kilometer von der Holy Cross School entfernt von einem Auto erfasst und tödlich verletzt worden. Augenzeugen berichteten, dass die Autofahrerin aus einem katholischen Viertel gekommen sei und regelrecht Jagd auf den Jungen gemacht habe. Sie flüchtete, wurde aber später von der Polizei festgenommen. Samuel Blair, ein Freund der McDonald-Familie, sagte: „Jetzt geht es Auge um Auge. Es hat keinen Sinn, das zu leugnen.“

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