Eltern-Kind-Konflikt-Kino: Rebellion in der Provinz
Till Müller-Edenborns heute startender Film „Rockabilly Requiem“ erzählt von prügelnden Vätern und aufmüpfigen Söhnen.
Als 50-Jähriger hatte Till Müller-Edenborn gute Chancen, den NDR-Nachwuchspreis des Filmfests Emden zu gewinnen. Aber der ging dann doch an die 51-jährige Regisseurin Cordula Kablitz-Post für ihre – in der Tat besser gelungene – historische Künstlerinnenbiografie „Lou Andreas-Salomé“.
Beide Filmemacher gelten noch als Nachwuchs, weil sie in Emden ihre ersten Kinospielfilme präsentierten. Müller-Edenborn inszenierte neben Kurzfilmen schon Folgen von Fernsehserien wie „Soko 5113“, „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ und „Schloss Einstein“. Doch mit „Rockabilly Requiem“ traute er sich erstmals an eine große eigene Arbeit heran. Das tut ein Regisseur nur dann, wenn ihm der Stoff wirklich am Herzen liegt, und „Rockabilly Requiem“ hat tatsächlich große autobiografische Anteile.
Müller-Edenborn muss als Jugendlicher in den 1980er-Jahren große Probleme mit seinem Vater gehabt haben. Gleich zwei extreme Vaterkonflikte stehen im Mittelpunkt des Films, der dadurch ein wenig monothematisch wirkt.
Doch das Milieu, in dem er spielt, macht das wett, denn die Rockabilly-Szene der frühen 80er-Jahre ist eindeutig ein Kuriosum. Damals waren New Wave und Punk in Mode, und mit ihren pomadigen Haartollen à la Elvis, den Lederjacken und der Fahne der amerikanischen Südstaaten als Mode-Accessoire war dieser Musik- und Lebensstil schon damals wie aus der Zeit gefallen. Kein Wunder also, das er vor allem in der Provinz blühte – im Film im tiefsten Niedersachsen.
Dort sind Hubertus und Sebastian beste Freunde, die der spießigen Enge ihres Heimatdorfs entkommen wollen. Hubertus ist der Sänger und Gründer einer Rockabilly Band, die langsam auf den Erfolgskurs gerät. Es gibt ein paar schöne, gut choreographierte Musiksequenzen von den Auftritten der Band. Sie schaffen eine lockere, beschwingte Stimmung, und vom Requiem beim Rockabilly spürt man zunächst nichts.
Sebastian gehört weder zur Band noch zur Szene und sieht mit seiner dunklen Kleidung und dem blassen Teint eher wie Vorläufer der „Grufties“ aus. Auch das Mädchen, in das sich die Jungs verlieben, ist eine moderate Punkerin, die zwar Debbie heißt, aber nicht an Debbie Harry, sondern eher an Nena erinnert. Seltsam ist, dass die anderen Subkulturen dieser Zeit so zwar zitiert, aber im Film nicht mit einem Wort erwähnt werden.
Hier ist also ausgerechnet der – auch damals schon anachronistische – Rockabilly die Musik, mit der man seine rebellische Haltung ausdrücken und die Eltern ärgern konnte. Hubertus zum Beispiel wird zuhause ständig von seinem autoritären Vater geschlagen und gedemütigt.
Sebastian, der eher beobachtet, statt zu handeln, hat dagegen einen schwachen Vater, der suchtkrank ist und die Familie bei seinen sporadischen Besuchen stets in emotionale und finanzielle Krisen stürzt.
Wie extrem die Dramaturgie des Films auf diesen Grundkonflikt hin geschrieben wurde, kann man auch daran erkennen, dass Müller-Edenborn es für nötig hielt, noch zwei positive Ersatz-Vaterfiguren in die Geschichte einzubauen: Der Vater von Debbie und ein Tätowierer (Tätowierungen spielen bei den Rockabillies und im Film eine wichtige Rolle) sind sehr männlich wirkende Erwachsene, die jung geblieben sind und bei denen die beiden Protagonisten immer wieder Zuflucht finden.
Die obligatorische Dreiecksgeschichte zwischen Hubertus, Sebastian und Debbie wird dagegen eher beiläufig erzählt. Es gibt eine schöne Szene auf einer Eisenbahnbrücke, die an ein Zitat aus dem Film „Stand by Me“ von Rob Reiner (und aus den 1980er-Jahren) erinnert. Aber man spürt, dass es Müller-Edenborn darum nicht ging.
Er selber sagt: „Es gab in meiner Jugend einen Hubertus.“ Und da dessen Leben tragisch endete, wird auch der autobiographisch angehauchte Film immer düsterer und steuert unausweichlich auf das ja schon im Titel angedeutete Ende zu.
Dies ist zugleich die Qualität und das Problem des Films, denn der routinierte Fernsehregisseur Müller-Edenborn mutet seinem Publikum hier einiges zu. Die Szenen, die in den Familien der beiden Protagonisten spielen, haben eine brutale Wahrhaftigkeit. Dies will Müller-Edenborn knallhart zeigen. Denn das hat er selbst erlebt, und dafür nahm er die Mühen einer unabhängigen Filmproduktion gern in Kauf.
Fast immer sind ja in Coming-of-Age-Geschichten die Jugendlichen letztlich die Gewinner, und es wirkt wie ein nur schwer zu ertragender Bruch der Genrekonventionen, wenn hier die Rebellion eines Sohnes vom Vater im wahrsten Sinne des Wortes niedergeschlagen wird.
Dies ist auch deshalb so erschütternd, weil Ben Münchow in der Rolle des Hubertus auf der Bühne ein charismatischer Musiker ist, der wirklich gut singen kann und dann wieder angesichts seines Vaters so hilflos und verzweifelt wirkt. Auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken hat er in diesem Frühjahr dafür die Auszeichnung als bester Nachwuchsdarsteller bekommen.
„Rockabilly Requiem“ wurde von der Filmförderanstalt für Niedersachsen und Bremen Nordmedia mitfinanziert und teilweise in der Region gedreht. Der Drehort der aufwendigen Anfangssequenz war etwa die Bremer Disko „Modernes“. Müller-Eden musste dann auch noch die Pleite der Produktionsfirma „Neue Mira“ überstehen, sodass sein Spielfilmdebüt ein langwieriger Prozess war.
Wie der Farbfilm Verleih sein kommerzielles Potenzial einschätzte, kann man daran erkennen, dass er einen Tag vor dem Beginn der Fußballeuropameisterschaft in die Kinos kommt – einer der schlechtesten Starttermine des Jahres. Vom WDR koproduziert, wird er dann in ein oder zwei Jahren im Fernsehen gezeigt werden. Und Müller-Eden kann in seinen nächsten Filmen hoffentlich von etwas anderem als Vätern erzählen.
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