Elke Wittich Erste Frauen: Wie der ersten Olympia-Siegerin im Hochsprungder Sport verleidet wurde
Eigentlich war Esther Cartherwood, die 1928 in Amsterdam erste Goldmedaillen-Gewinnerin im Hochsprung bei Olympischen Spielen wurde, auch eine sehr talentierte Speerwerferin, aber einen olympischen Frauenwettbewerb sollte es in dieser Disziplin erst vier Jahre später in Los Angeles geben. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Kanadierin ihre sportliche Karriere aber bereits aufgegeben und sich aus Ärger über unverschämte Medienberichte über ihr Privatleben komplett aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.
Begonnen hatte alles im Garten ihrer Eltern, wo die kleine Esther sich selber Hochsprung beibrachte. Später spielte sie Baseball und Basketball, betrieb im College Leichtathletik und startete 1928 als eine von sechs kanadischen Sportlerinnen, matchless six genannt, bei den Spielen. Am 5. August 1928 gewann Cartherwood die bis heute einzige Einzel-Leichtathletikgoldmedaille für Kanada, nachdem sie die Höhe von 1,59 Meter übersprungen hatte. Sie wurde gefeiert, aber die Bewunderung des Publikums dürfte für Cartherwood nichts Außergewöhnliches gewesen sein, bereits ein Jahr zuvor hatte der Pionier des kanadischen Sportjournalismus Lou Marsh eine lyrische Hymne auf sie verfasst: „Von dem Moment an, als dieses große, schlanke, anmutige Mädchen ihren langen, fließenden lila Umhang beiseite warf und ihren ersten Sprung machte, verliebten sich die Fans in sie“, schrieb er und schwärmte weiter von ihrem „blütenartigen Gesicht von seltener Schönheit, über einem langen, schlanken Körper, der einfach in reines Weiß gekleidet“ war. Sie habe „wie eine große seltsame Lilie“ ausgesehen, fortan wurde sie von Fans und Presse „die Lilie aus Saskatoon“ genannt.
Bei den Spielen von Amsterdam wurde Esther Cartherwood zur meistfotografierten Sportlerin. Und sie erhielt umgehend Angebote aus Hollywood, die sie jedoch kühl mit der Bemerkung ablehnte, sie würde „lieber Gift schlucken, als in einem Film mitzuspielen“, stattdessen absolvierte sie einen Business-Kurs. 1931 verkündete eine Zeitung aus Toronto dann einen Skandal, von dem aus heutiger Sicht nicht ganz klar ist, worin er bestanden haben könnte.1929 hatte Esther Cartherwood unbemerkt von der Öffentlichkeit den Bankangestellten James McLaren geheiratet. Die Ehe wurde jedoch nach kurzer Zeit wieder beendet. Kurz darauf heiratete sie den Experten für Erdöl-Probebohrungen Byron Mitchell. Die Medien warfen ihr daraufhin, mehr oder weniger deutlich, Polygamie und unsoliden Lebenswandel vor, was schließlich noch von der Entdeckung getoppt wurde, dass sie gar keine gebürtige Kanadierin war, sondern als Zweijährige mit ihrer Familie aus dem amerikanischen North Dakota eingewandert war.
Cartherwood wurde von Reportern regelrecht verfolgt, trotzdem war ihr Plan zunächst, bei den Spielen von 1932 zu starten, wenn auch vielleicht für die USA. Eine Verletzungsserie plus die fortgesetzten Belästigungen durch die Presse führten jedoch dazu, dass sie sich aus der Öffentlichkeit zurückzog und nach San Francisco übersiedelte. Ihre Medaillen und Pokale verkaufte sie. Zu einem öffentlichen Auftritt ließ sie sich weder 1955, als sie in die kanadische Hall of Fame Kanadas aufgenommen wurde, noch 1966 bewegen, als die kanadische Post eine Briefmarke zu ihren Ehren herausgab. 1980 sagte sie einer Reporterin des Magazins Today, ihre wenigen Jahre als aktive Sportlerin seien „eine sehr unglückliche Zeit in meinem Leben gewesen“, sie habe kein Interesse daran, interviewt zu werden.
Fünf Jahre später versuchte die kanadische Journalistin Rosie DiManno, Kontakt zu Esther Cartherwood aufzunehmen, die zurückgezogen und schwer erkrankt in der kalifornischen Kleinstadt Grass Valley lebte. Die Journalistin ging wieder, als die Seniorin sich daran machte, ihren Dobermann-Hund loszulassen. 1987 starb Estherl Cartherwood im Alter von 79 Jahren. Die Öffentlichkeit erfuhr davon erst acht Monate später, das hätte ihr sicher gefallen.
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