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Elke Wittich Erste FrauenDer große Sprung nach vorne von der SkifahrerinIngrid Olsdatter Vestbyen

Als sich Ingrid Olsdatter Vestbyen Anfang 1863 hinsetzte, um einen Brief zu ­schreiben, konnte sie nicht ahnen, dass ihr nur wenig später der erste dokumentierte Skisprung einer Frau gelingen würde. Am 22. Januar 1862 hatte in Trysil das erste moderne, von einem kurz zuvor gegründeten Skiverein, den Trysilgutten, ausgetragene Skirennen stattgefunden. Über das große Ereignis war sogar in den überregionalen Medien berichtet worden, denn so etwas hatte noch niemand zuvor gesehen und es gab entsprechend kein Wort dafür.

Die Abfahrtsstrecke endete nämlich nicht in einem flachen Zielauslauf, sondern spektakulär: Am Fuß des steilen Abhangs war Schnee aufgeschüttet worden, sodass die Skiläufer wie auf einer Schanze abhoben und nach kurzem Flug landeten. Ein Jahr später wurde das Rennen erneut ausgetragen, aber zuvor erhielten die Trysilgutten (heute übrigens der älteste Skiclub der Welt) Post von Ingrid Olsdatter Vestbyen. Die 16-Jährige wollte unbedingt mitmachen und erklärte den Organisatoren auch, warum: Es gehe ihr nicht um die ausgelobten Preise, schrieb sie, denn sie wisse, dass die nur von Männern und Jungen gewonnen werden könnten. In Trysil sei das Skifahren für Frauen aber genau so wichtig wie für Männer, wenn sie im Winter aus dem Haus gehen wollten, „und deswegen wäre es doch vielleicht interessant, ein Beispiel zu sehen, wie gut Frauen das Skifahren beherrschen“.

Vestbyen durfte starten, allerdings nur unter der Auflage, lediglich den Schlussteil mit dem Sprung und nicht die ganze Strecke zu absolvieren. Das überregionale Morgenbladet dokumentierte diesen ersten Skisprung einer Frau ausführlich. Kurz vor der Preisverleihung sei ein Mädchen einen Teil des Abhangs hinauf gelaufen, bekleidet unter anderem mit „einem Kopf- und einem Wolltuch“. Plötzlich stieß sie ab, „und hinunter ging es in blitzartiger Fahrt, hinunter zu dem Sprung am Ende – und hinüber, und ganz leicht und sicher stand sie dort, wo so viele Männer vor ihr die Balance verloren hatten“.

Und da habe auch schon ein lautes Hurrageschrei der Menge eingesetzt, „das erste, denn während ihrer Fahrt war es den meisten Zuschauern ängstlich zumute“. So etwas, schließt der Bericht, „hatte noch niemals zuvor jemand von einem Mädchen gesehen“. Es ist leider nicht bekannt, wie das Leben der Ingrid Olsdatter Vestbyen weiter verlief. Dazu, dass aus dem ländlichen Städtchen Trysill der größte Wintersportort des Landes wurde, dürfte ihr Sprung allerdings entschieden beigetragen haben, denn in den folgenden Jahren nahmen immer mehr Norwegerinnen ganz selbstverständlich am Freizeitvergnügen Skilaufen teil. Das Titelbild der Weihnachtsausgabe des Norsk Idrætsblad zeigte 1897 eine junge Skispringerin.

Mit wehender Bekleidung, denn die Etikette jener Zeit verlangte, dass die Wintersportlerinnen nicht nur lange Mäntel und Röcke trugen, sondern auch Korsetts. Vor allem das Korsett verhinderte aber, dass die darin eingeschnürten Frauen sich undamenhaft verausgabten, weil sie nicht richtig tief Luft holen konnten.

1892 hatte eine Norwegerin genug von der sportfeindlichen Damenoberbekleidung: Die Mezzosopranistin Eva Nansen, Ehefrau des späteren Friedensnobelpreisträgers und Polarforschers Fridtjof. Eva, eine begeisterte Skiläuferin und -springerin, etablierte das Hosentragen beim Sport, und verteidigte das Recht auf Teilhabe von Frauen an Freizeitvergnügen und gesundem Lebensstil in Zeitungsartikeln. Ein Foto aus dem Jahr 1898 zeigt das Paar, das sich beim Skilaufen kennengelernt hatte, auf Skiern, Fritjof trägt Anzug und Strickpullover, Eva ein trachtenähnliches Mantelkleid und lange Hosen. Skistöcke im heutigen Sinn haben beide nicht dabei, die junge Frau Nansen hält einen angespitzten Ast in der Hand. Altmodisch wirken dagegen andere: Erst 104 Jahre später wird das Internationale Olympische Komitee zum ersten Mal einen Skisprungwettbewerb für Frauen erlauben.

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