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ElefantenpostAusufernder Kindergeburtstag

■ Indien zwischen Religion und TV: In Bombay liebt man die Moderatorinnen der Deutschen Welle wegen ihrer ausgefallenen Frisuren und bespritzt sich zum „Holi“-Fest mit Farben

Die Inder wackeln meisterlich irritierend mit dem Kopf. Das ist als Zeichen von Aufmerksamkeit sehr gewöhnungsbedürftig, und in den ersten Tagen muß man immer an die Autohunde mit dem mobilen Einsteckkopf denken, die es früher mal gab. Aber spätestens nach einer Woche fängt man selber mit dem Kopfwackeln an – ein indischer Freund meinte, es sei eben ansteckend. Obwohl es auch resistente Fälle gibt: Ich war bei einer indischen Familie eingeladen und nicht wenig überrascht, auf dem riesigen Sofa-Ensemble zwischen den eleganten Sari-Damen auch einen Onkel Wolfgang aus Braunschweig zu treffen, der den ganzen Nachmittag kein einziges Mal wackelte. Einmal im Jahr kommt er zusammen mit seiner indischen Ehefrau für drei Wochen auf Familienbesuch, die beiden Kinder, Thomas und Petra, waren in den Weihnachtsferien hier.

Nachdem man die Macken der Kinder durchgegangen war, sorgte das Fernsehen für außerfamiliären Gesprächstoff: In gewissen Kreisen Bombays genießt die Deutsche Welle einen sonderbaren Kultstatus. Beliebt ist zum Beispiel das Reisemagazin „Intimate Escapes“ – wegen des anzüglichen Titels und wegen der komischen Moderatorin. Sie soll sich mit einem wahrhaft diabolischen Lächeln vor laufender Kamera durch die Schlemmerlokale dieser Welt futtern, und man mutmaßt, daß sie zumindest einmal eines dieser Edel-Etablissements durch ihre Sendung in den Ruin treiben will.

Während wir noch ausführlich über den „strange guy Biolek“ und die „kinky“ Frisuren der Deutsche-Welle-Moderatorinnen sprachen, kam zufällig ein skandalumwitterter Bombayer Theaterkritiker vorbei, der das deutsche Thema mit einer äußerst tuntigen Performance von „Das Wander ischt der Müllerlust...“ und anderen Volksliedern zum Höhepunkt brachte.

Tags darauf nahm die Verwirrung mit dem rein hinduistischen „Holi“-Frühlingsfest ihren Fortgang. Im wesentlichen besteht dieser Feiertag darin, daß man sich den ganzen Tag mit grell rosa, lila, grünen oder blauen Farben gegenseitig bespritzt oder bestäubt – und zwar von den Haaren bis zu den Füßen, Kleidungsstücke inklusive. Das Ganze geschieht entweder als Überraschungscoup mit lautem Gejohle, oder es wird von freundlichen „Happy Holi“-Wünschen begleitet. Auch die Kühe und Hunde gehen an diesem Tag sehr bunt durch die lila gefärbten Straßen. Beliebt ist dieser Brauch vor allem auch als erlaubte Form der Kontaktaufnahme zu Leuten, die man immer schon mal anfassen wollte.

Um dabei die Hemmungen zu überwinden, trinken die Leute in den Hinterzimmern der Tempel Bhang, ein betörend gutes Milchmixgetränk, das in riesigen Kübeln zubereitet wird. Obwohl die Inder mit ihren gefärbten Gesichtern, Haaren und Hemden selbst doch ziemlich spacig aussahen, guckten sie meine lilane amerikanische Begleiterin und mich mit größter Belustigung an, etwa so, als wären wir Opfer eines ausufernden Kindergeburtstags geworden.

Die Amerikanerin und ich beschlossen den Tag daraufhin mit einem Drink in ihrem Hochhausappartement, das ans Märkische Viertel von Berlin erinnert. Plötzlich muhte es draußen, und die Amerikanerin schaute aus dem Fenster. Mit dem Ausruf „Da ist sie ja endlich!“ rannte sie zum Kühlschrank, wo sie für „ihre“ Kuh stets einen Sack Gras aufbewahrt. Sogleich eilten wir aus dem 14. Stock auf die Straße, um das heilige, ganz in Rosa gehaltene Tier auf der Baustelle neben dem Taxistand zu füttern. Und während ich diese Zeilen schreibe, läuft ein Hindi-Film im Fernsehen, in dem ein rosa Pony (wie das aus dem Barbie-Karton) mit allerliebsten Tänzen und Am-Sari-Ziehen einem Liebespaar dabei hilft, sich zu finden. Dorothee Wenner

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