Electronic Festival in Kroatien: Stütze für die queere Community

Das Festival Electronic Beats in Zagreb ist zwar ein Marketing Tool der Telekom. Aber hier trifft sich auch eine queere Community.

Aus leichter Untersicht sieht man die recht frohen Gesichter einiger Besucherinnen des Festivals

Recht gut gelaunt: Zuschauerinnen beim Festival Electronic Beats in Zagreb Foto: Barbara ŠegotaBarbara Šegota/Promo

Etwa zweitausend Menschen strömen am Samstag auf das zentral gelegene Open-Air-Gelände in Zagreb, das neben dem 1968 von kroatischen Kommunisten erbauten würfelartigen Gebäude „Kockica“ (was auf Kroatisch Würfelchen bedeutet) liegt. Sie sind gekommen, um das von dem multinationalen Telekommunikationsunternehmen Telekom organisierte, 2006 ins Leben gerufene Festival Electronic Beats zu besuchen.

Der Eintritt ist frei, voll wird es erst zum Abend hin. Zur Eröffnung spielt an diesem Spätsommernachmittag die mittlerweile überregional bekannte Band Trokut – ein kroatisches Quintett, das Jazz und Pop mit elektronischer Musik mischt und bereits auf mehreren renommierten Veranstaltungen, wie dem Jazzfestival in Ljubljana, auftrat.

Neben den Bühnen gibt es in einem Zelt ein Begleitprogramm – dort lassen sich Interessierte kostenlos tätowieren oder die Turnschuhe putzen, außerdem sind Stände mit Streetfood aufgebaut. Daneben wird im Kino Urania unter dem Titel „Die neue Realität der Mode ist digital“ diskutiert. Es sprechen Ver­tre­te­r:in­nen unterschiedlicher Modemarken: Kathleen Karrer von Telekom wird von der Moderatorin Shama Nasinde befragt.

Genauso wie Ann-Britt Dittmar, eine der Gründerinnen von Trashymuse, einem Berliner Unternehmen, das sich zwischen Design und Technologie mit der Zukunft der Kreativbranche im digitalen Raum in Form von NFTs (Non Fungible Tokens) beschäftigt. Außerdem sitzt der kroatische Modedesigner und Gründer der Modemarke E.A. 1/1 S.V., Silvio Vujičić, auf dem Panel. Er erstellt Mode mithilfe einer KI.

Cyberfashion in jeder Größe

Gala Marija Vrbanić, Gründerin des Nobellabels Tribute Brand aus Zagreb, vertritt ein Kollektiv mit zwölf Beschäftigten, das mit Mode, 3D-Modellierung, UX-Design, Blockchain und Programmierung arbeitet. Man stellt kontaktlose, nur im virtuellen Raum existierende Cyberfashion her und zählt etwa 5.000 Follower auf Instagram. „Da keine physischen Lieferungen und Produktionen erforderlich sind, ist unsere Mode ohne Einschränkung für jedes Geschlecht und jede Größe erhältlich. Wir wollen durch die Stärkung einer digitalen Identität die Verringerung von Nachfrage und damit der Produktion und des Verbrauchs von physischer Kleidung herbeiführen und damit den Modemarkt zugänglicher, gerechter und nachhaltiger gestalten“, sagt Vrbanic der taz. Der digitale Modemarkt sei jedoch kein Ersatz, sondern ein Zusatz zum analogen Modemarkt.

Der musikalische Teil von Electronic Beats beginnt ab 23 Uhr im Peti Kupe, einem Club, der mit seinem barähnlichen Außenbereich und hölzernen Parkett eher nicht für lange Rave­nächte bekannt ist. Einer der Künstler ist DJ Labud, der seit den frühen Nullern in Zagreb Elektro, Breakbeat und Techno auflegt.

Zagreb ist seit den frühen 90er Jahren – als Kroatien nach dem Unabhängigkeitskrieg mit dem Wiederaufbau begann und den Übergang zum Kapitalismus vollzog – Heimatbahnhof der Elektronikszene. Ein Mangel an institutioneller Unterstützung für die Clubkultur drängte die Künst­le­r:In­nen in den Untergrund. Es mangelt heute an guten Auftrittsorten mit einer Kapazität von etwa 500 Zuschauern. Deshalb finden zahlreiche Partys in den Hügeln oberhalb Zagrebs statt, von denen man nur über soziale Medien und Telegram erfährt.

Zur Party an die Adria

Daneben siedelten sich in den vergangenen Jahren zahlreiche große Technofestivals wie Sonus und Dekmantel an der kroatischen Adriaküste an – sie ziehen ein vor allem westeuropäisches, touristisches Partypublikum an. „Es ist schon ein wenig ausbeuterisch, denn Kroaten können sich die hohen Eintrittspreise kaum leisten“, kommentiert DJ Labud diese Tendenz.

Electronic Beats geht die ungerechte Verteilung geschickter an. Im Prinzip ist das Festival eine Marketingveranstaltung, um die Firma Telekom an junge Menschen heranzutragen, bei ihnen positiv im Gedächtnis zu bleiben und das alte Image vom Staatskonzern vergessen zu machen. Die Festival­idee geht jedoch darüber hinaus und hat sich, abgesehen von Deutschland und Österreich, in mehreren mittel- und osteuropäischen Ländern etabliert.

Electronic Beats engagiert zur Organisation jeweils lokale Teams, die sich an der Suche nach Veranstaltungsorten, Buchung von etablierten und Newcomer-Künst­le­r:in­nen und Bewerbung des Events beteiligen. Mate und Mario unterstützen seit Jahren Electronic Beats in Zagreb, Ivana und Daniel von HR Telekom machen die Promotion für die Veranstaltung in Kroatien.

Die Generation Z hört lieber serbischen Turbo-Folk

Besonders beliebt ist elektronische Musik bisher jedoch nicht bei jungen Leuten – das Durchschnittsalter der kroatischen Technoszene, die keine feste Gruppe, sondern eher eine bunte Mischung aus Punks, Hippies, Emos und Normalos ist, liegt überraschenderweise bei 30 Jahren und älter. Die Generation Z hört lieber serbischen Turbo-Folk mit dystopischen und sexistischen Texten und Balkan-Trap, auch „Cajke“ genannt. Videos von Cajke-Künst­le­r:in­nen erreichen bis zu 20 Millionen Clicks auf Youtube.

Paula und Karlo, alternativ gekleidete 20-jährige Be­su­che­r:in­nen des Festivals und Fans der experimentellen US-Künstlerin Eartheater, erklären sich das überschaubare Publikum auf dem Festival damit, dass der Großteil der kroatischen Gesellschaft – mit Ausnahme der queeren Community – noch nicht für experimentelle Musikformen bereit ist. Sie gelten als ziemlich underground.

Queere Community stützen

Das Festivalpublikum bestehe neben Queers hauptsächlich aus Stu­den­t:in­nen und „Proleten“, wie Karlo sagt, die sich große Festivals normalerweise nicht leisten können. Die ältere Generation hingegen hört noch immer Thompson – den populärsten kroatischen Sänger, der noch immer Stadien füllt und in seinen Liedern auch Parolen der faschistischen Bewegung Ustascha rezipiert. Neben Ustascha-Anhängern hat vor allem die katholische Kirche starken Einfluss auf die politische Meinung in einem Land, das seit Jahren von der rechtskonservativen Partei HDZ regiert wird.

Die Reportage wurde von dem Festival „Electro Beats“ unterstützt

Gleichzeitig sind viele Kroa­t:In­nen müde von der grassierenden Korruption und dem geringen Aufklärungswillen der Behörden, weshalb das Vertrauen in die Politik allgemein niedrig und die Frustration innerhalb der Bevölkerung hoch ist. Auch in der Technoszene spielt Politik keine herausragende Rolle. Zwar wird das Problem von Sexismus in Clubs bei einigen Veranstaltungen angesprochen, aber LGBT können sich – mit Ausnahme der popkulturell geprägten Veranstaltung House of Flamingo von dem gleichnamigen queeren Kollektiv aus Zagreb – in Clubs meistens noch immer nicht frei und offen bewegen, geschweige denn auf der Straße.

Das Electronic Beats Festival fungiert als Stütze für die queere Community vor Ort: Es bringt neue gesellschaftskritische Diskurse mit. Queere Ak­ti­vis­t:in­nen sorgen für Unterstützung und Motivation ihrer Anliegen, vergrößern das Solidaritätspotenzial und tragen ihr Anliegen in breitere gesellschaftliche Schichten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.