: Electric Ladyland
Die zarteste Versuchung, seit es Machos gibt: D'Angelos einziges Konzert in Deutschland ■ Von Tobias Nagl
Kaum ein Titel der letzten Zeit war treffender als der, den Soul-Erneuerer und Brustwarzenträger D'Angelo für sein zweites Album gewählt hat: Voodoo. Genau so klingt es nämlich: nach einem ständigen, zurückgenommen rhythmischen Brodeln, das im Raum zu stehen scheint, das seine einzige Daseinsberechtigung aus der Frage „How slow can you go?“ zu beziehen scheint, das jenes sumpfige Gefühl auf den Punkt zu bringen scheint, das Amerikaner als „southern“ bezeichnen, das also, um es kurz zu machen, klingt, als würden The Meters in New Orleans unter Anleitung eines Yoruba-Priesters in einer Opiumhöhle ihre Breaks auslegen. Und es scheint nicht nur, es strahlt, wenn auch aus jenen schattigen Seelenregionen, in denen selbst ausgewachsene Musiker ihren Mojo leichter verlieren als der Gris-Gris-Mann mit den Fingern schnippt. Und es ist zugebenermaßen ziemlich sexy.
Nach seinem Lauryn Hill wie Erykah Baduh gleichermaßen den Weg weisenden Debüt Brown Sugar hat sich D'Angelo satte fünf Jahre Zeit gelassen, um sich mit diesem aus allen zeitgenössischen R'n'B-Schemata herausfallenden Album wieder zu Wort zu melden. Voodoo mag es deshalb nicht nur heißen, weil sich der Multi-Instrumentalist und Sohn eines baptistischen Priesters nach einer im übrigen Business eigentlich kommerziell höchst desaströsen Wartezeit damit neu erfunden hat, sondern weil es selbst wie das Ergebnis einer Geisterwanderung klingt. D'Angelo spricht nämlich in Zungen; ganz so, als wäre der Geist der großen Untoten und ewigen Wiedergänger der Soulgeschichte, ob tatsächlich tot oder lebendig, in ihn gefahren: Marvin Gaye, Sly Stone, Al Green, Stevie Wonder, Curtis Mayfield und immer wieder Prince, Prince, Prince. Mit letzteren beiden teilt er die Vorliebe für unglaubliche Falsett-Koloraturen; mit letzterem die Bewunderung für eines der verkanntesten Genies der (afroamerikanischen) Musikgeschichte: Jimi Hendrix.
Dessen Andenken wird nach wie vor von emsigen weißen Rockisten gepflegt; Hendrix' Beitrag zur Soulgeschichte geflissentlich aus den Annalen herausgeschrieben. Seine Stimme ist am Anfang von Voodoo zu hören; aufgenommen wurde das Album in Hendrix' legendärem Electric Ladyland-Studio, in dem sich D'Angelos Produktionsteam The Soulquarians – um den Roots-Schlagzeuger Ahmir „?uestlove“ Thompson und den Bassisten Pino Palladino – längst zwischen auf den Namen Jimi hörenden Katzen und Marvin-Gaye-Fotos gemütlich eingerichtet haben, um aller Welt zu zeigen, wie eine so traditionsbewusste wie futuristische Souldefinition 20 Jahre nach HipHop aussehen könnte. Um dessen produktionstechnische Abstraktionsleistung in Sachen Low-Ends weiß sie; realisiert wird sie aber von Musikern auf „echten“ Instrumenten. Mit Kaffeehaus-Mu-ckertum hat das dennoch nichts zu tun, mehr dagegen mit Effizienz: Wo andere nämlich mühselig nach „magischen Stellen“ auf alten Platten suchen müssen, um ihre Sam-pler zu füttern, schütteln die Soulquarians sie gleich reihenweise aus dem Handgelenk; psychedelischer Hendrix-Irrsinn wie rückwärts laufende Gitarrensoli inklusive. Allein über „?uestloves“ virtuos-vertrackte rimshots könnte man ganze Bände des Lobs füllen.
Und dann ist da natürlich noch der sexual healer selbst: Wenn D'Angelo auf der Bühne sein Feinripp-Unterhemd auszieht, sind in den USA die ersten Reihen voll mit minutenlang schreienden Frauen; im „Untitled (How does it feel?)“-Video posierte er gleich ganz nackt. Effektiver ließ sich die Kritik am Oberflächendesign und Statusdenken des zeitgenössischen R'n'B kaum formulieren. Dabei ist D'Angelos tätowierter Luxuskörper letztlich nicht weniger Oberfläche; weder bricht er als inszenierter mit der Verdinglichung schwarzer Körper als Pin-Ups noch mit dem Machismo des Genres. Vielleicht ist er sich seiner Sache nur etwas sicherer: Statt auf die üblichen Maskulinitäts-Fetische zu vertrauen, macht er sich lieber selbst zu einem. Allein: Angesichts der Güte dieser Musik wird man damit noch eine Weile leben müssen.
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