Eiszeit in Berlin: Eiszeit lässt Senat kalt
Wegen der vereisten Gehwege gerät der Senat nun auch aus der SPD unter Beschuss. Grüne fordern Entschuldigung von Klaus Wowereit. CDU wirft ihm Bürgerferne vor.
Der Senat und die rot-rote Koalition geraten durch das anhaltende Eischaos zunehmend unter Druck. Die CDU fordert einen Eisgipfel, die Grünen wollen vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) eine Entschuldigung für die Lage. Doch auch aus den eigenen Reihen kommt jetzt Kritik. "Wir sind empört", äußerte sich der Landeschef der Berliner SPD-Senioren, Werner Kleist. Zahllose Unfälle seien bereits geschehen, "ohne dass die Verantwortlichen - dazu zählt auch die öffentliche Hand - sichtbar etwas zur Beseitigung der Missstände tun." Wowereit selbst sagte in der RBB-Abendschau zu Überlegungen, das Technische Hilfswerk einzusetzen: "Wir sind nicht in Haiti."
Diese Äußerung des Regierenden Bürgermeisters stieß auf Empörung. "Unsäglich" nennt sie FDP-Fraktionschef Christoph Meyer. Für CDU-Boss Frank Henkel ist sie "völlig deplatziert": Wowereit zeige "wieder einmal, dass er von den Problemen der Berlinerinnen und Berliner meilenweit entfernt ist". Bei seiner Eisgipfel-Forderung nennt Henkel Hamburg als Vorbild. Ein dortiger Aktionsplan sieht laut CDU zusätzliches Personal, eine Hotline, kostenfreies Streugut und konsequenteres Vorgehen der Ordnungsämter vor.
Für die Verwaltung von Umweltsenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei) ist Henkels Forderung purer Aktionismus. "Ein Eisgipfel würde real nichts verändern - weil alles schon im Gang ist", sagte Lompscher-Sprecherin Marie-Luise Dittmar mit Verweis auf die intensive Arbeit der BSR. Einsatz von 1-Euro-Jobbern und Hotlines, das gebe es alles schon. Hamburg bei der Eisbekämpfung als Vorbild zu nennen hält Dittmar für falsch: "Dort läuft ja gar nichts besser."
Grundproblem sei die derzeitige Rechtslage: Das Gesetz schreibe den Anliegern bislang nicht vor, Eis zu entfernen, und lasse sich auf die Schnelle nicht ändern. Im Gesetz gebe es auch keine Ausnahmeregelung, in Notsituationen Salz einzusetzen. Das sei seit vielen Jahren verboten, sagte Dittmar, weil es Grundwasser und Bäume schädige. Genau einen solchen Salzeinsatz aber fordert die Gewerkschaft der Polizei für die Flächen an den Wachen. Angesichts der mehr als 100 Sturzverletzungen jeden Tag verlangt auch die FDP-Fraktion, den Salzeinsatz "dringend zu prüfen".
Der parlamentarische Geschäftsführer der Linken im Abgeordnetenhaus, Uwe Doering, lehnte einen Eisgipfel zwar ebenfalls ab: "Was soll denn passieren - etwa die Bundeswehr einrücken?" Doch auch für ihn fehlt ein klares Signal: "Es sieht alles nach Verwaltungshandeln aus", sagte er der taz, "man hat nicht den Eindruck, dass konkret einer die Ärmel aufkrempelt."
Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop regte an, auch studentische Hilfskräfte zur Eisbeseitigung anzuheuern und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst dazu ranzuziehen, die gerade nicht beschäftigt seien. Vom Regierenden Bürgermeister erwartet sie mehr Präsenz und auch symbolisches Handeln. "Wowereit könnte sich auch mal für den Zustand der Stadt entschuldigen", sagte sie der taz. Das sei natürlich Symbolpolitik, aber es würde vermitteln, dass der Regierungschef das Problem Eisglätte ernst nimmt. "Doch für so etwas hat er kein Gespür", sagte Pop, " sonst wäre er auch in der S-Bahn-Krise mal mit heißem Tee auf einen Bahnsteig gegangen."
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Geiselübergabe in Gaza
Gruseliges Spektakel