Eisschnellläufer Tobias Schneider: "Das war der Klick im Kopf"
Der Eisschnellläufer Tobias Schneider spricht vor der Mehrkampf-WM in Berlin über ein neues Selbstbewusstsein und Trainingsmethoden, die ihn stark an Jürgen Klinsmann erinnern.
taz: Herr Schneider, nach Claudia Pechstein und Anni Friesinger sorgte zuletzt Jenny Wolf für Schlagzeilen. Wann kommen die Männer einmal dran?
Tobias Schneider: Ab der nächsten Saison.
Wirklich?
Ja. Wir haben im letzten Winter schon für ein paar kleine Schlagzeilen gesorgt. Es geht vorwärts, aber dass wir schon um Medaillen mitlaufen, das wäre zu viel verlangt. In einem Jahr will ich so weit sein.
Es war lange Zeit unvorstellbar, dass die deutschen Eisschnellläufer die Weltspitze erreichen. Was hat sich getan?
Der neue Trainer, Bart Schouten, hat den größten Anteil am Wandel. Aber es waren auch wir Sportler selber, die nach den Olympischen Spielen in Turin gesagt haben, so geht es nicht weiter. Damals haben wir uns vorgenommen: Entweder wir tun etwas, oder die Sache verläuft vollends im Sand. Ich war so entmutigt, dass ich eigentlich nach Turin aufhören wollte.
Warum?
Ich war zwar bei den Spielen, mein großes Ziel, aber ich war überhaupt nicht zufrieden. Ich habe gesehen, wie schnell die anderen laufen, und wir haben nur hinterhergeschaut. Das hat mich ein bisschen traurig gemacht. Dann habe ich mir gesagt: Ich will auch schnell sein und Medaillen holen. Noch bei der Abschlussfeier im Stadion habe ich beschlossen, die Sache anzugehen. Ich bin hin zu den anderen Jungs, die ja noch alle in unterschiedlichen Trainingsgruppen aufgeteilt waren, und habe denen klargemacht: Wenn wir in Vancouver 2010 etwas erreichen wollen, dann müssen wir zusammen trainieren. Dann müssen wir Jungs und Männer in einer Gruppe gemeinsam arbeiten. Alle waren dafür.
Und wie gings weiter?
Wir sind zum Verband mit unserer Idee und haben eigentlich mit Konfrontation gerechnet.
Aber?
Wir waren überrascht, dass der Verband uns total unterstützte. Es kam aber noch besser. Die haben uns sogar gesagt: Wir suchen einen Trainer für euch. Es wurde schließlich der Niederländer Bart Schouten.
Eine wundersame Fügung!
Besser gings nicht. Bart hat den Klick im Kopf geschafft.
Den Klick?
Wir haben plötzlich daran geglaubt, dass wir Medaillen gewinnen können.
Sie haben selbst einmal vom Klinsmann-Effekt gesprochen.
Ja, der Effekt ist immer noch da. Als der Schouten kam, hat er erst mal einen dreistündigen Vortrag gehalten, mit ganz vielen neuen Ansätzen. Am Ende sagte er: Ihr könnt es schaffen.
So wie Jürgen Klinsmann behauptet hat, die DFB-Elf könne Weltmeister werden.
Genau. Danach hatten wir Einzelgespräche. Ich habe dem Trainer gesagt: Hör zu, wir kennen uns nicht, du kannst mir viel erzählen, es hört sich alles gut an, aber ehrlich gesagt, bin ich skeptisch.
Was hat er entgegnet?
Dass er die Herausforderung sucht.
Und was ist von der Skepsis geblieben?
Innerhalb von Wochen ist sie verflogen. Ich glaube an Barts Methoden, zumal auch sportlich die totale Bestätigung kam. In Kolomna bei der Mehrkampf-EM bin ich zuletzt Siebter geworden und habe einen deutschen Rekord aufgestellt. Das habe ich wie selbstverständlich abgehakt, weil ich mittlerweile höhere Ansprüche habe.
Haben die Männer jahrelang falsch trainiert?
Das kann man so nicht sagen. Ich zum Beispiel habe in Berlin-Wilmersdorf angefangen, ging auf eine normale Schule, habe einmal am Tag trainiert. Ich hatte nicht die Umfänge wie an einer Sportschule. Nach dem Abitur bin ich zu Coach Joachim Franke und zu Claudia Pechstein in die Gruppe gegangen. Für den Übergang war das richtig gut. Aber als ich merkte, ich muss mehr tun, habe ich die Gruppe verlassen. Wenn man aufs Topniveau will, muss man mehr machen und anders trainieren als die Damen.
Was viele Läufer versäumt haben?
So wars bei vielen. Dadurch kam es zur Stagnation im Männerbereich. Aber jetzt ist mit Schouten alles anders.
Was denn zum Beispiel?
Wir laufen Shorttrack, Bart legt unheimlich viel Wert auf Techniktraining. Qualität geht ihm vor Quantität. Und dann ist da noch der Faktor Motivation. Er hat diese amerikanische Mentalität, dass alles möglich ist.
Was bringt Shorttrack?
Die Kurven sind im Eisschnelllauf das Entscheidende. Da wird die Geschwindigkeit gemacht. Im Shorttrack sind die Kurven viel enger, weil auf einem Eishockeyfeld gelaufen wird
und Sie lernen, besser mit den Fliehkräften umzugehen?
Wir haben eine viel größere Kurvenschräglage. Bei mir ist es auch eine Mutfrage. Man traut sich, mit mehr Druck und höherer Geschwindigkeit reinzugehen. Man läuft immer wieder harte Kurven.
Welche Rolle spielt die Berliner Trainingsgruppe?
Wir sind ein Team. Wir machen uns keine ungesunde Konkurrenz. Das ist wirklich angenehm.
Dass die besten Deutschen gemeinsam trainieren, ist ja gut und schön, aber müsste man nicht noch ein paar internationale Stars nach Berlin locken?
Wir sind ja mit Bob de Jong schon ein bisschen international, er ist Olympiasieger über 10.000 Meter. Wir haben auch Anfragen. Gegen Hochkaräter hätten wir eigentlich nichts.
Glauben Sie, dass man die Grenze zur absoluten Weltspitze letztlich nur mit verbotenen Mitteln überschreiten kann?
Ich kann es nicht leiden, dass man eine gute Leistung gleich mit einem Dopingverdacht entkräftet. Ich will es ohne schaffen. Ich muss dann eben noch besser und härter trainieren. Mehr opfern. Man muss ohne Doping an diese Leute, Holländer oder Amerikaner, rankommen. Das ist mein persönlicher Anspruch. Ich weiß, dass es möglich ist. Im letzten Jahr bin ich im Weltcup über 10.000 Meter ja auch Zweiter geworden.
Bei der Mehrkampf-WM in Berlin-Hohenschönhausen am Wochenende wollen Sie unter die ersten zehn kommen. Ein Unfall hätte Ihr Saisonziel fast zunichte gemacht!
In der Saisonvorbereitung hat mich eine Rentnerin, weil sie mit ihrem Auto nicht auf die Überholspur wechseln wollte, auf dem Rennrad gestreift. Ich bin gegen einen Trafokasten geknallt, hatte Prellungen und verschobene Wirbel. Mit großer mentaler Anstrengung bin ich zurückgekommen. Diese Geschichte hat mich noch stärker gemacht.
Herr Schneider, wann haben Sie eigentlich das letzte Mal mit Frauen trainiert?
Heute. Mit Claudia Pechstein.
Und das hat funktioniert?
Na ja, jetzt geht es wieder. Im letzten Jahr gab es so eine kleine Feindschaft. Es wurde einiges über die Presse ausgetragen.
Sagte sie damals nicht, Sie sollten sich nicht so aufführen, schließlich hätten Sie erst in der Pechstein-Gruppe richtig Schlittschuh laufen gelernt?
Ja, die Frauen waren sauer, dass sie plötzlich auf sich selbst gestellt waren und wir mit neuem Selbstbewusstsein aufgetreten sind. Jetzt ist es so, dass Claudia anfragt, ob sie mit uns trainieren darf. Wir lassen sie dann gern mal mitmachen.
INTERVIEW: MARKUS VÖLKER
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