CannesCannes: Einzug der Stars
■ Noch fehlen chinesische Beiträge und ein depressiver Ingmar Bergmann
Das Geländer der großen Treppe war von roten Rosen umkränzt, eine prächtig uniformierte Garde auf Pferden stand im Halbkreis darum, dann lautes Fanfarengeschmetter, tosender Applaus – und in strömendem Regen zogen die Stars ein: Sylvester Stallone, Gina Lollobrigida, Leonardo DiCaprio, Sigourney Weaver, Johnny Depp, Lauren Bacall, Gérard Depardieu, Charlton Heston, Scorsese, Antonioni, Coppola, Wenders... – es nahm überhaupt kein Ende. Gefeiert wurden fünfzig Jahre Filmfestspiele in Cannes und die Verleihung der „Palme der Palmen“. Schade nur, daß der Preisträger nicht gekommen war: Ingmar Bergmann hatte abgesagt, weil er an „Depressionen leidet“.
Zhang Yimous Wettbewerbsbeitrag „Keep Cool“ wird immer noch von den Zollbehörden festgehalten, aber dafür hat der Iran nun wohl doch zugestimmt, daß Abbas Kiarostamis Wettbewerbsfilm „Der Geschmack der Kirsche“ gezeigt werden darf, jedenfalls wurde gestern ein Vorführungstermin bekanntgegeben. Auch Zhang Yuangs zunächst verbotener Film „East Palace, West Palace“ konnte vorgeführt werden. Der Regisseur darf China allerdings zur Zeit nicht verlassen. „East Palace, West Palace“, der in der Reihe „Un certain regard“ gezeigt wird, ist ein Film über einen homosexuellen jungen Mann, der beim Cruisen im Park festgenommen wird. Gleichzeitig abgestoßen und angezogen hört sich der Polizist seine Geschichte an. Yuang ködert die Zuschauer nicht mit billigem Mitleid. Wie die Chinesen wohl darauf reagieren, daß der junge Mann darauf besteht, daß es ihm gefällt, geschlagen zu werden? Müßige Frage. „East Palace, West Palace“ darf in China nicht gezeigt werden.
Ang Lees Wettbewerbsbeitrag „The Ice Storm“ ist ein Film über die 70er Jahre. Ben Hood, seit 17 Jahren verheiratet, hat ein Verhältnis mit seiner Nachbarin Janey Carver (Sigourney Weaver). Seine Frau Elena ist verletzt und hat kein Interesse mehr am Sex. Sohn Paul ist in ein reiches Mädchen verliebt, Tochter Wendy, die interessanteste Person in diesem Film, verfolgt die Watergate-Affäre auf dem Bildschirm. Sie tändelt mit dem jünsten Sohn der Carvers herum, der jünger ist als sie und ihr deshalb keine Angst macht. Vielmehr macht sie ihm Angst. Am Thanksgiving-Abend gehen die Hoods auf eine Party. Am Eingang hält ihnen die Gastgeberin eine Schale mit Autoschlüsseln entgegen: Der Abend soll mit einem Partnertausch enden. Ein nächtlicher Eissturm sorgt für unerwartete Situationen in dieser Nacht.
Lee hat die Siebziger liebevoll in Szene und vor allem in Farbe gesetzt. Die Erwachsenen unterscheiden sich kaum von ihren Kinder. In einer Szene klaut Wendy ein paar Süßigkeiten, und später steckt ihre Mutter in der Drogerie Kosmetika ein. Die Tochter kommt damit durch, die Mutter wird erwischt. Als Janey von ihrem One-night- stand mit einem jungen Mann zurückkommt, geht sie ins Schlafzimmer, rollt sich wie ein Embryo auf dem Bett zusammen und schläft ein. Ob die Sache jetzt ein Erfolg war oder nicht, bleibt unklar. Bis dahin hält Lee sich nicht mit Moralpredigten auf. Am Ende gibt es dann doch ein Opfer in dieser Nacht: Mickey, ein Sohn der Carvers, wird von einem Stromschlag getötet. Ben Hood findet ihn. Als die Familie Hood am Ende vereint im Auto sitzt, dreht Ben sich um und fängt an zu weinen. Lee hat das mit zartfühlendem Takt inszeniert. Aber es nützt nichts: Das Ende ist bieder. Vor allem, weil in dieser Nacht niemand etwas Verbotenes getan hat und dabei wirklich Spaß hatte. Anja Seeliger
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