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Einschüchterung in Prag

■ Polizeikräfte auf den Straßen / Festnahmen nicht überschaubar Polen, Ungarn und UdSSR kritisieren den Einmarsch von 1968

Prag (afp/dpa) - Mit einem massiven Polizeiaufgebot und Einschüchterungsversuchen gegenüber Regimekritikern und Journalisten haben die tschechoslowakischen Behörden am Wochenende versucht, Demonstrationen zum 21. Jahrestag des Einmarsches der Warschauer-Pakt-Staaten zuvorzukommen. Mit dem Einmarsch, der in der Nacht zum 21. August 1968 begonnen hatte, war der Reformpolitik des Prager Frühlings ein Ende gesetzt worden. Indessen verurteilten Polen und Ungarn, die 1968 ebenfalls Truppenverbände entsandt hatten, offiziell die Intervention.

Auch die sowjetische Regierungszeitung 'Istwestija‘ distanzierte sich. Sie zitierte den früheren stellvertretenden sowjetischen Ministerpräsidenten Kiril Masurow, der eine Intervention unter den heutigen Bedingungen ausschloß: „Es ist schwer, die Gründe zu verstehen, die die Führung unter Breschnew zu dem Risiko verleitete, Truppen in die CSSR zu entsenden, wenn man nicht die Ereignisse jener Zeit in Betracht zieht.“

In der CSSR waren am Wochenende die Telefonverbindungen zu fast allen führenden Regimegegnern unterbrochen. Einige Dissidenten, darunter die Sprecherin der Menschenrechtsgruppe „Charta 77“ Dana Nemcova, wurden von der Polizei am Verlassen ihrer Wohnungen gehindert. Einer der wenigen Regimekritiker, die noch erreichbar waren, der Außenminister von 1968 Jiri Hajek, meinte, es sei unmöglich, das gesamte Ausmaß der vom Regime ergriffenen Präventivmaßnahmen oder der etwaigen Festnahmen zu überschauen. Er hoffe, daß sich die Bevölkerung an den Aufruf von Regimekritikern und der Kirche halten werde, jede Provokation zu vermeiden.

In Prag selbst waren am Sonntag weniger Passanten auf der Straße als gewöhnlich. Starke Polizeikräfte in Uniform und Zivil befanden sich auf Streifengängen. Die Messe in der Prager Kathedrale wurde streng überwacht, die Gottesdienstteilnehmer gefilmt. Auf den Zufahrtsstraßen nach Prag wurden Autos aus dem westlichen Ausland, aber auch aus Polen und Ungarn kontrolliert. Westliche Journalisten wurden überwacht. Der Korrespondent der Nachrichtenagentur 'afp‘ wird seit Samstag systematisch beschattet und wurde mehrfach aufgefordert, „nach Hause zurückzukehren“. Auch die Botschaften wurden gewarnt, beim Vorgehen gegen illegale Demonstrationen könne auf Ausländer keine Rücksicht genommen werden.

Von den fünf Staaten, die 1968 Truppen in die CSSR entsandt haben, distanzierten sich unterdessen Polen, Ungarn und die UdSSR von dem Einmarsch. Der ungarische Ministerpräsident Miklos Nemeth verurteilte am Sonntag in einer Ansprache zum ungarischen Nationalfeiertag den Einmarsch von 1968.

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