Einkommensunterschiede im EU-Vergleich: Ausgeglichenes Deutschland
Im Vergleich zu anderen EU-Staaten geht es in Deutschland laut einer Studie noch gerecht zu: Die Einkommensunterschiede liegen unter dem Durchschnitt in der EU.
Armut ist ein europaweites Phänomen: 2005 waren in der EU 16 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte. In Deutschland galten 13 Prozent als arm.
Daraus sollten Bundesbürger jedoch nicht schließen, dass sie besonders gut verdienen. Armut ist relativ: In Luxemburg gilt ein Single bereits als arm, wenn er 17.808 Euro pro Jahr erhält. In Deutschland liegt diese Grenze schon bei 9.370 Euro. Damit bildet Deutschland das Schlusslicht in den westlichen Industriestaaten. Zwei Beispiele: In Belgien gilt als arm, wer weniger als 10.316 Euro jährlich verdient, in Österreich sind es 10.711 Euro.
Gleichzeitig zeigt sich, dass das Einkommensgefälle zu Osteuropa noch immer enorm ist. So gilt in Litauen schon nicht mehr als arm, wer mehr als 1.519 Euro im Jahr verdient.
Europaweit gilt, dass die Älteren ab 65 Jahren besonders häufig arm sind (19 Prozent). Ausnahmen: In Osteuropa ist die Armutquote bei den Senioren unterdurchschnittlich (10 Prozent). Und auch Deutschland schneidet mit 13 Prozent relativ gut ab.
Arbeitslosigkeit erhöht in ganz Europa das Armutsrisiko. In Deutschland sind 43 Prozent der Arbeitslosen armutsgefährdet, in der Eurozone sind es 38 Prozent. Auch Bildung ist entscheidend: Europaweit sind nur 3 Prozent der Akademiker unter den Armen zu finden.
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern geht es in Deutschland noch immer relativ gerecht zu: Das oberste Fünftel verdient 4,1 Mal so viel wie das unterste Fünftel. In der Eurozone liegt dieser Wert bei 4,6 - und bei den zehn neuen Mitgliedsstaaten von 2004 beträgt die Ungleichheit bei der Einkommensverteilung sogar 5,2.
All diese Daten entstammen der neuesten Statistik "EU-SILC", die erst seit 2005 jährlich erhoben wird und die die Armut und soziale Ausgrenzung in Europa dokumentieren soll. Europaweit wurden 200.000 private Haushalte befragt, davon 13.799 in Deutschland.
Allerdings ist umstritten, wie aussagekräftig diese "EU-SILC"-Statistik ist. So wurden die EU-Daten für Deutschland bereits vorab in den neuesten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundregierung integriert - was Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) den Vorwurf eintrug, er hätte die soziale Lage in Deutschland "geschönt". Denn andere Sozialerhebungen kommen zu deutlich negativeren Ergebnissen: So hat das sozio-ökonomische Panel (SOEP) ermittelt, dass in Deutschland 2005 bereits 18 Prozent zu den Armen zählten - und nicht nur 13 Prozent wie beim EU-SILC.
Ein Grund für diesen Unterschied: Das SOEP berücksichtigt auch den Mietwert, den ein selbst genutztes Eigenheim bedeutet. Dadurch steigt das Durchschnittseinkommen - und auch die Armutsschwelle. Beim SOEP gilt als arm, wer in Deutschland weniger als 880 Euro monatlich verdient. Bei EU-SILC sind dies nur 781 Euro. Das senkt die Zahl der Armen ganz automatisch - jedenfalls in der Statistik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren