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Einkauf in der GroßstadtZurück in den Kiez

Aldi auf der Grünen Wiese, das war gestern. Einkaufen in der Großstadt orientiert sich wieder hin zum Kiez: Kleinteilig, persönlich, mit kurzen Wegen.

Wer in der Stadt wohnt, will zum Supermarkt nicht mit dem Auto fahren. Bild: ap

Keine Parkplätze, keine markante Werbung vor der Tür und wenig Platz im Laden: Dem Kiezmarkt in der Sophienstraße in Mitte fehlt eigentlich alles, was ein modernes Lebensmittelgeschäft braucht. Trotzdem reihen sich am Vormittag lange Schlangen vor der Kasse. Der Verkaufsraum ist verwinkelt und klein, die Kunden stehen bis ins Ladenhintere mit ihren Handkörben. Draußen auf dem Bürgersteig spannt Norbert Buchholz seine prall gefüllte Einkaufstüte auf den Gepäckträger. "Ich kaufe hier im Prinzip alles", sagt der Familienvater. Er wohnt ein paar Häuser weiter. Ein Auto besitzt er nicht, der nächste Discounter ist über einen Kilometer weg. "Ich bin auf den Supermarkt angewiesen", sagt Buchholz.

Dietmar Rosch hört solche Sätze gern. Es sind Kunden wie Buchholz, die den Geschäftsmann in seinem Modell bestätigen: Rosch betreibt vier Lebensmittelgeschäfte im Berliner Stadtgebiet, die er offiziell als "Kiezmarkt" betitelt. "Die Bezeichnung Kiez zieht", sagt der Unternehmer. "Wir merken schon seit etwa fünf Jahren, dass die kleinen Flächen ein Revival feiern." In der Tat scheint sich langsam zu wandeln, was sich Verwaltung und Wissenschaftler seit Jahren wünschen: Der Trend der Discounter "auf die grüne Wiese" verlangsamt sich. Stattdessen erproben Konzerne in zentralen Lagen und Wohngebieten Kleinformate für die Nahversorgung. Rewe firmiert dabei unter dem Namen "nahkauf", Edeka hat "nah & gut" im Sortiment und beliefert selbständige Händler wie Dietmar Rosch.

Mancher Einzelhändler hat sich ganz auf kleine Sortimente konzentriert, zum Beispiel die Firma Markant, die mit zwei Märkten in Berlin vertreten ist, einem in Friedrichshain und einem in Wilmersdorf. "Die großen Marktteilnehmer wollen wieder in die Stadtgebiete", bestätigt Gerd Kühn, der sich beim Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) seit Jahren mit Trends im Einzelhandel beschäftigt. Früher wollten Konzerne eher raus - die Flächen in den Innenstädten waren zu klein, vergrößern am Standort ging nicht, so wurde die "Ortsschild-Lage" außerhalb bewohnter Gebiete attraktiv. "Das war auch optisch gewünscht", sagt Kühn. "Erst sollte man die Parkplätze sehen, dann den Markt, auch wenn es völlig überdimensioniert war." Natürlich sei es eine Illusion zu glauben, dass künftig alle zum Kiezmarkt radeln und Discounter massenweise schließen. Doch Kühn gibt zu bedenken: "Es gibt nach wie vor Kofferraumeinkäufer - aber dafür muss man auch einen Kofferraum haben."

Der Wissenschaftler hat damit einen der Gründe ausgemacht, warum Nahversorger gerade in zentralen Lagen Berlins ihre Rückkehr zelebrieren: Nirgends haben so wenig Menschen ein eigenes Auto wie hier. Der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zufolge werden mehr als zwei Drittel aller Wege nicht mit dem Auto zurückgelegt. Wer einkauft, nutzt gar in drei von vier Fällen öffentliche Verkehrsmittel, geht zu Fuß oder fährt Fahrrad.

Erreichbarkeit zu Fuß wird wieder zum Kriterium: Mehr als 500 bis 750 Meter zum Laden sollten es nicht sein. Hört sich zunächst selbstverständlich an für eine Großstadt. In Wohnvierteln etwa in Mariendorf oder Kaulsdorf aber kann der nächste Supermarkt weit sein. Gleiches gilt für sehr zentral gelegene Gegenden wie etwa um den Hackeschen Markt in Mitte oder um die Torstraße: Cafés, Kneipen und Postkartenläden finden sich hier an jeder Ecke. Aber ein klassischer Nahversorger ist in den meisten Fällen lange verschwunden.

Auch der Senat will den Standortfaktor "Fußläufigkeit" stärken. "Wichtig für Berlin und seine Zentrenstruktur ist, Nahversorgungssortimente wie Lebensmittelangebote wohnungsnah zu sichern und zu entwickeln", beschreibt die Verwaltung im Entwurf für die Neuauflage des "Stadtentwicklungsplan (Step) Zentren" die bisherige Entwicklung. Der Senat kann mit so einem Plan grob festlegen, wo im Stadtgebiet Einzelhandelszentren entstehen beziehungsweise ausgebaut werden sollen - und wo nicht. Konkrete Baumaßnahmen genehmigen die Bezirke. Großflächiger Einzelhandel, also ab 800 Quadratmetern Verkaufsfläche, ist grundsätzlich nur in gesondert ausgewiesenen Gebieten erlaubt.

Manche Bezirke begrüßen die Orientierung auf bestehende Zentren - Lichtenberg etwa, wo die Discounter in den vergangenen 20 Jahren besonders die Stadtränder in Beschlag genommen haben und das Angebot vielerorts überdimensioniert ist, während kleine Einzelhändler in Wohnvierteln pleite gegangen sind. Andere Lokalpolitiker hingegen fürchten, mit der ebenfalls geplanten Abkehr von autofreundlichen Vierteln würden Bemühungen nach kleinteiliger Versorgung zunichte gemacht: Der Senat nämlich will weniger Parkplätze für bestimmte Gebäude und Nutzungen zulassen. Und ohne Platz für Autos könne sich auf Dauer immer noch kein Supermarkt halten, argumentierten Stadträte vor allem im Westen Berlins.

Womöglich wird die Zeit den kiezorientierten Geschäften ohne große Angebote für Autofahrer in die Hände spielen: Die Menschen nämlich werden immer älter. Wer alt ist, ist weniger mobil, und wenn, dann zu Fuß. Dazu kommt, dass ältere Menschen nicht mehr so viel brauchen wie eine junge Familie, die kleineren Sortimente von Nahversorgern reichen ihnen.

Dramatischer noch als in der Stadt wirkt sich die Bevölkerungsentwicklung auf dem Land aus. In dörflichen Gegenden kommt verschärfend hinzu, dass viele junge Menschen abwandern - zurück bleiben die weniger Mobilen, die keinen mehr haben, der für sie einkaufen fährt. Der Boom selbstorganisierter Gemischtwarenläden, das Wiedererstarken mobiler Versorger, all das geht vor allem auf den Versorgungsnotstand auf dem Land zurück.

Vorausschauende Akteure auf der kommunalen Ebene könnten deswegen durchaus von der Provinz lernen, um in Städten vorzubeugen, sagt Kühn. Bisher will man davon allerdings nichts wissen: Eine Difu-Tagung zum Thema "Lernen vom ländlichen Raum" mit Blick auf die Nahversorgung wurde abgesagt, weil es kaum Anmeldungen gab.

Auch die Marktleiterin in der Sophienstraße, Iris Henschke, warnt gleichwohl vor blindem Vorpreschen. Jeder Standort habe seine eigenen Bedürfnisse, sagt sie und erzählt, dass etwa nur wegen des Krankenhauses gegenüber Shampoo, Zahnpasta und Duschgel im Regal stehen würden. Henschke reagiert zudem spontan auf Kundenwünsche. Dank der geringeren Bestellzahlen kann sie auch neue Waren testen und abbestellen, wenn sie nicht gut ankommen. Viel teurer ist der Laden im übrigen nicht als größere Märkte - auch im Kiezmarkt gibt es die Eigenmarken von Edeka. Das Geschäft selbst wurde vor einem Jahr umgestaltet. Seitdem ist mehr Platz für frische Waren und Snacks. Draußen leuchtet auf blaugelbem Grund ein neuer Schriftzug: "Kiezmarkt".

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1 Kommentar

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  • H
    Häää?

    In welchem Paralleluniversum lebt man denn so wenn man solche Artikel schreibt? Es ist bestimmt nicht in meinem Berlin. Es ist eher da wo Multikulti funktioniert weil keine Türken und Araber dort leben, Arbeitslose nicht zu sehen sind oder bestenfalls Staffage für das "harte" Berlin existieren (für den "Flair" höhöhö) und man das Schulfach "Schwul" entwickelt hat. Na dann viel Spaß dort bis die Realität mal vorbeikommt.