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Einigung der BundesregierungDer Wehrpflicht-Kompromiss beweist demokratische Stärke

Ambros Waibel

Kommentar von

Ambros Waibel

Der erste Schritt hin zur Verteidigungsfähigkeit ist gegangen. Ob die Menschen Deutschland im Ernstfall verteidigen, hängt aber von Gerechtigkeit ab.

Tarnen des Einzelschützen: eine Ausbildungsstation bei der Bundeswehr, 11. Mai 2021 Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa-Zentralbild/dpa

D auer und Form von Aushandlungsprozessen im demokratischen Staat können Verwunderung auslösen, manchmal auch Verzweiflung. Wenn es gar zu absurd, ja tragisch wird angesichts dringenden Handlungsbedarfs, mag man sogar versucht sein, mit Verachtung zu reagieren.

Davor gilt es sich zu hüten. Verachtung ist die Attitüde, mit der ihre Feinde der Demokratie begegnen, von Putin bis Trump, von AfD bis ins linksreaktionäre Milieu hinein. Am Ende ist der jetzt gefundene Kompromiss der Bundesregierung zum freiwilligen Wehrdienst beziehungsweise zur Musterungspflicht für junge Männer ein erstes Zeichen der Stärke: Demokratien brauchen gerade in der Frage, inwieweit ihre Bür­ge­r:in­nen zu ihrer Verteidigung herangezogen werden können, immer lange. Und noch länger brauchen sie, wenn tatsächlich die Frage im Raum steht, ob einer Aggression dadurch begegnet werden soll, dass die eigenen Bür­ge­r:in­nen sie mit ihren Körpern, mit dem Einsatz des eigenen Lebens verteidigen.

Das ist im Moment glücklicherweise nicht der Fall. Wer tötet, wer stirbt, wer verstümmelt wird, wer unter Krankheiten leidet, die Ärzte nur historisch aus den Grabenkämpfen des Ersten Weltkrieg kennen, sind nicht die Deutschen, es sind die ukrainischen Soldat:innen, die ihr Land gegen eine durch nichts zu rechtfertigende Aggression verteidigen; und es sind diejenigen auf der anderen Seite der Front, die sich von dem mafiös-faschistischen Putin-Regime zum Überfall auf ihre Nachbarn missbrauchen und töten lassen.

Die Feststellung, dass es nicht die Deutschen sind, die unter diesem Krieg leiden, sondern vielmehr Menschen, deren Vorfahren von den Vorfahren der heutigen Deutschen überfallen wurden, mag banal erscheinen. Angesichts der wehleidigen und geschichtsvergessenen Inszenierung, die in Teilen der deutschen Öffentlichkeit die Frage einer europäischen Wiederaufrüstung begleitet, muss man aber vielleicht noch mal in Erinnerung rufen: Die Kernbotschaft, die vom 8. Mai 1945 bis ins Heute ausstrahlt, ist nicht: Nie wieder Krieg! Die Kernbotschaft ist: Nie wieder Faschismus!

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Teil unserer Geschichte

Und der deutsche Militarismus? Ist der nicht auch Teil unserer Geschichte? Unbedingt! Die Zivilisierung der (west)deutschen Gesellschaft war aber über Jahrzehnte so gründlich, dass inzwischen sogar Nazis zum außenpolitischen Pazifismus neigen, soweit sie eben nicht gleich auf der Payroll Putins stehen. Das Schlagwort vom deutschen Militarismus ist heute einfach ein bedauerlicher Irrtum, wenn nicht ein Tool aus der Rhetorikkiste hybrider Kriegsführung Putins.

Sönke Neitzel, ein deutscher Militärhistoriker und Wortführer in der aktuellen Debatte um Aufrüstung und Wehrpflicht, war bei der Bundeswehr Tankwart, nicht Scharfschütze. Und hat auch nur im Ansatz jemand auf der höheren politischen Ebene in den letzten Jahren zu preußisch-militaristischer Hybris geneigt? Friedrich Merz jedenfalls ist in der Taurus-Frage als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet. Derweil wird die Ukraine täglich von russischen Raketen terrorisiert.

Wenn Generalleutnant Robert Sieger vom Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr sich nun zur ab 2027 geplanten Musterung äußert, dann klingt das mehr nach Ikea als nach dem früheren Kreiswehrersatzamt. „Hell, freundlich und positiv“ solle die Atmosphäre sein. Das muss man ihm nicht glauben. Und selbst im Nichtgroßkonfliktfall ist die Sache keineswegs harmlos: Nach Angaben der Bundeswehr kamen mehr als 3.400 Bundeswehrangehörige seit der Gründung der Bundeswehr 1955 in Ausübung ihres Dienstes ums Leben, ob durch Unfälle oder im Einsatz.

Mit den nun beschlossenen Maßnahmen, bei denen es kaum bleiben kann, wenn so etwas wie glaubwürdige Abschreckung, also die sogenannte Kriegstüchtigkeit erreicht werden soll, ist noch gar nichts darüber entschieden, ob diese unsere bundesrepublikanische Gesellschaft sich tatsächlich auch verteidigen möchte.

Eine Gerechtigkeitsfrage

Wehrgerechtigkeit bedeutet nicht zuletzt, dass sich eine Gesellschaft gegen einen äußeren Feind nur dann wehrt, wenn die Gesellschaft auch als gerecht, also verteidigungswert empfunden wird. Wer keine Wohnung findet, wird kaum in eine Kaserne ziehen.

In einer ungerechten Gesellschaft werden mehr Menschen ihr Recht auf Wehrdienstverweigerung wahrnehmen. Um das Gleichgewicht von innerer und äußerer Sicherheit herzustellen, bräuchten wir so etwas wie eine sozialdemokratische Partei, die ihre soziale und ihre antifaschistische Tradition ernst nimmt. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
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2 Kommentare

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  • Ja. Ok mal - als Gedienter geschätzter Waibels Ambros - sag ich Schnackeldidackel - kann mann nehmen. But.

    Der letzte Absatz - Hä? “Eins von den …“?



    Könnmer den nochmal in Reinschrift haben?



    Eh ich Friedrich - aber Schiller “Gang zum Eisenhammer“ zitiere “Herr! Dunkel war der Rede Sinn.“ oder “…da verließen sie ihn!“*

    unterm—-*



    Diese Floskel ist erst um die Jahundert19.Wende entstanden.



    Sie ist abgelehnt an ein Bibelwort Matt. 56.26



    “Da verließen ihn alle seine Jünger.“



    Nüscht for unjut - wa!

  • In einer Gesellschaft, in der es ums Überleben geht, weil ein außer Kontrolle geratener Diktator und seine Mordbanden den Nachbarn die Türen eintreten, wird ein Streit darum, ob es die passende Wohnung für die individuellen Wünsche gibt und das als gesellschaftliche Gerechtigkeit definiert wird, wie ein schöner Traum aus vergangenen Zeiten erscheinen.