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Einigung bei Hartz IVErhöhung in zwei Stufen

Regierung und Opposition einigen sich auf eine zweistufige Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes. Rückwirkend zum 1. Januar gibt es fünf Euro mehr, 2012 nochmal drei Euro.

Sie hatten sich alleine nicht einigen können: Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig (SPD) und Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Bild: dapd

BERLIN dapd/dpa | Nach wochenlangem Ringen um die Hartz-IV-Reform haben Vertreter von Bund und Ländern eine Einigung erzielt. Wie Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) nach mehr als siebenstündigen Spitzengesprächen am frühen Montagmorgen sagte, soll der Regelsatz für Erwachsene in zwei Schritten angehoben werden: Rückwirkend zum 1. Januar 2011 um fünf Euro auf 364 Euro und zum 1. Januar 2012 erneut um drei Euro. Auch beim Bildungspaket für arme Kinder und dem Thema Mindestlöhne wurde eine Lösung erreicht.

Der Vermittlungsausschuss soll den Kompromiss voraussichtlich am Dienstag beschließen. Eine Sondersitzung des Bundesrats werde am Freitag angestrebt, sagte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD).

Zur Umsetzung des Bildungspakets für 2,3 Millionen arme Kinder sollen die Kommunen von 2011 bis 2013 jährlich zusätzlich 400 Millionen Euro erhalten, um damit Schulsozialarbeit oder Mittagessen in Horten zu finanzieren. Nach dieser Zeit übernehme der Bund die Kosten für die Grundsicherung, fügte Böhmer hinzu. Insgesamt umfasst das Bildungspaket, das der Bund bezahlt, damit gut 1,5 Milliarden Euro. Davon sollen Schulmaterialien, Freizeitaktivitäten oder Nachhilfe bezuschusst werden.

Neue Mindestlöhne

Geplant sind ferner verbindliche Mindestlöhne für das Wachgewerbe und die Weiterbildungsbranche über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Für Zeitarbeiter soll ab 1. Mai eine Lohnuntergrenze über das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gelten. Von diesem Datum an ist der deutsche Arbeitsmarkt vollständig für Arbeitnehmer aus den osteuropäischen Nachbarländern geöffnet.

Geeinigt hatten sich in der Nacht Union und FDP mit der SPD. Bundessozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) sprach von einer "schweren Geburt". Die Verhandlungen hätten sich aber gelohnt.

Die SPD wertet den Kompromiss im wochenlangen Verhandlungspoker um ein neues Hartz-IV-Gesamtpaket als Erfolg. "Das kann sich insgesamt sehen lassen", sagte die Verhandlungsführerin der Sozialdemokraten, Manuela Schwesig, am Montag im ZDF-Morgenmagazin. Dennoch habe ihre Partei weiterhin Bedenken bei der Berechnung der Regelsätze für die rund 4,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger. "Wenn die Bundesregierung an dieser Stelle auf ihrer juristischen Meinung beharrt, dann muss sie da auch die Verantwortung übernehmen, wenn das Verfassungsgericht es noch einmal anders entscheidet."

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) wies diese Bedenken im ZDF zurück. "Ich glaube, dass diese politische Entscheidung auch vor Gericht Bestand haben wird." Das Bundesverfassungsgericht hatte im vergangenen Jahr neue Grundlagen für die Hartz-IV-Sätze gefordert.

Grüne aus Gesprächen zurückgezogen

Zuvor hatten sich die Grünen aus den Gesprächen zurückgezogen. Fraktionschefin Renate Künast äußerte "erhebliche Zweifel" an der Verfassungsmäßigkeit der neu berechneten Regelsätze. Sie verwies auf eine frühere Forderung von SPD und Grünen, sogenannte Aufstocker, die ihr Gehalt mit Hartz IV aufbessern müssen, aus der Berechnung des Regelsatzes herauszunehmen. Das hätte einen weiteren Anstieg der Sätze zur Folge. Diese Bemühung sei jedoch gescheitert.

Das Treffen hatte am Sonntagnachmittag begonnen. Kurz nach dem Auftakt wurden die Verhandlungen aber für drei Stunden unterbrochen, damit die Teilnehmer in ihren Parteizentralen den Ausgang der Hamburg-Wahl verfolgen konnten.

Das Bundesverfassungsgericht hatte die Neuregelung von Hartz IV angeordnet, weil die geltenden Regelsätze verfassungswidrig sind. Ein von Union und FDP beschlossenes Regelwerk scheiterte allerdings Ende Dezember am Widerstand von SPD, Grünen und Linken im Bundesrat. Union und FDP sind in der Länderkammer auf die Zustimmung der Sozialdemokraten angewiesen, nicht aber auf ein Ja der Grünen.

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15 Kommentare

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  • SH
    Schon Hartz V

    Hätte man nach den winterschlaflangen Debatten und Diskussionen und Scheinverhandlungen nicht auf einen authentischeren Rechnungsbetrag kommen können als dieses bessere Kindertaschengeld oder warum hat man nicht gleich eine Packung starken Tobak inklusive Magenbitter an die Jobcenter-KundInnen verteilt?!

    Gedränge kommt ab dem Tag der Arbeit auf, wenn sich Arbeitssuchende aus Osteuropa in die Zeitarbeiterschaft einreihen.

    Geschickt eingefädelt von der Zentrumspartei im 21. Jahrhundert...

  • MD
    maria daubenbuechel

    ob die steuerzahler dafür verständnis haben?wo doch schon die banken wieder boni verteilen,(denen hat man offenbar das geld ohne auflagen in den trog geworfen.)in dem fall aber ist frau merkel unsere meinung vollkommen wurscht.

  • F
    FAXENDICKE

    Sind doch alles bigotte, falsche Heuchler. Die einen im Namen einer christlichen Union, die anderen schreiben sich sozial auf ihre Fahnen. Die gelben und die gelben im grünen Mäntelchen sind um keinen Deut besser und wer weiß was die Salonkomunisten machen würden wenn sie Regierungsverantwortung hätten. Rot/Grün hat auch viel erzählt und fantasiert bis sie dann unter Schröder ihre wahre kriegstreiberische Kapitalistenfratze gezeigt haben.

    Im Grunde haben ca. 10 Millionen Menschen in unserer Republik keine Lobby, denn Gewerkschaften, Sozialverbäde und Kirchen labern und heucheln auch nur.

    Dabei könnten 10 Millionen dieses System mit entsprechenden Blockaden (Autobahnen, Raffinerien, Bahngleise etc. pp.) schlicht und ergreiffend wirtschaftlich lahm legen.

    Dann kämen die bourgeoisen Sozialschmarotzer schon aus ihren zum Dumpinglohn privat bewachten Villen um anständige Angebote zu machen.

    Lassen sich die Armen weiterhin alles gefallen wird es von Jahr zu Jahr schlimmer!

  • I
    Isifree

    viel schlimmer ist es, dass nach dem neuen Gesetz die Menschen sehr viel einfacher ihren Anspruch auf Grundsicherung verlieren können. Darüber redet und keiner berichtet keiner.

  • A
    Anderword

    "Hartz" ist Demütigung, Erniedrigung, Bevormundung, Entmündigung!

     

    Egal ob 5 oder 8 Euro, es ist Armselig, Menschenunwürdig. Aber was ich noch viel schlimmer finde ist die Akzeptanz dieser "Hartz-Gesetze" in unserer Gesellschaft. Da sollen doch angeblich über 50% der Menschen gegen jegliche Regelsatz Erhöhung sein? Und die finden es sogar gut, solange sie nicht selbst betroffen sind, das es Sklaven gibt die man für Lau beschäftigen kann!

    " Die Hartzler würden ja schließlich ihre Steuern "versaufen"!

     

    Der eigentliche Skandal ist aber, das diese angeblichen 50% Menschen mit ihrem dekadenten Gutsherren-Geschwätz und der angeblichen "Demokratischen Freiheit" unseres Landes meinen, man könne ja alles schaffen was man will, solange man nur auch wolle!

     

    Das Bildungspaket, eine Farce und Ohrfeige für die Kinder und deren Eltern!

    Wer keine Schulbildung hat, der wird wohl schwer einen Beruf ausüben können!

    Aber genau das ist ja von der "Aristokratie" gewollt. Und nun haben die Herrschenden Jahrzehnte lang verpennt Menschen auszubilden und schreien jetzt nach Fachpersonal! Auch das ist gewollt, denn so lässt sich leichter durchsetzen die Arbeitskräfte aus dem billigen Ausland zu rekrutieren! Das drückt die Lohnkosten!

     

    Sonder- oder Mehrbedarfe extra beantragen? Die haben sie wohl nicht mehr alle!!

    Jetzt fängt das Zählen von Socken an und wie viel schmutzige Unterwäsche man besitzt und wann, wo wäscht! Aber wozu braucht ein Sklaven-Mensch auch eine Waschmaschine, der kann doch auch an den Bach gehen zum Waschen und anschließend unter der Brücke schlafen, dann spart die Kommune auch gleich noch die "KdU"!

     

    Es gab mal eine Zeit, da war es mir "Wurst" wie viel Porsche und Brillanten jemand hatte, aber wenn ich mich nicht mal mehr "gesund" Ernähren kann, ist der Ofen aus!

     

    Das war`s, Hoffnung ist nun auch gestorben, Politik und "Gutsherren" treten meine Würde mit Füßen, seid 5 Jahren Klagen, Klagen, und kein Ende in Sicht.

    Und was ist mit einer Normenkontrollklage durch die Politik?

     

    Ich vordere ein bedingungsloses Grundeinkommen auf Kosten der "Bourgeoisie"!

    "Hartz" ist Demütigung, Erniedrigung, Bevormundung, Entmündigung! h.

  • W
    Westberliner

    Wenn das Gesetz tatsächlich so verabschiedet wird, dann sehe ich das Bundesverfassungsricht in der Pflicht, die die Umsetzung des eigenen Urteils überprüfen kann.

  • EW
    Eva Willig

    Letzte Woche waren es noch 2,5 Mio Kinder, denen das "Bildungspäckchen" zugesprochen wurde. Wo sind die übrigen 200.000 abgeblieben?

     

    Spannend ist auch, ob es nachträglich zum 1.1.11 gewährt wird. Wenn nicht wurden vom Bund zu Lasten armer Kinder in den Monaten Jan - März 11, 75 Mio€ eingespart.

     

    Außerdem erwartet der Bund, dass jeder der 4,7 Mio Verharzten bis April ein zinsloses Darlehen von je 20 € gewährt. Dies entspricht nicht der Erwartungshaltung der Jobcenter, die von uns wirtschaftliches Verhalten sehen wollen.

     

    Also Verharzte widersprecht millionenhaft der Regelsatzerhöhung, bis Karlsruhe diese Beleidigung wieder kassiert und vielleicht traut sich ja auch endlich eine Partei den Weg zum europäischen Menschengerichtshof in Straßburg zu, um die permanente Diskriminierung Armer in Deutschland anzuprangern.

  • N
    Nordwind

    Tja, so lange derartige Entscheidungen von unseren Verfassungsverächtern getroffen werden, werden die in Karlsruhen immer etwas zu tun haben.

     

    Die Forderungen des BVG wurden in wesentlichen Punkten schlicht ignoriert.

     

    So wurden verdeckte Arme nicht herausgerechnet und Hartz-IV-Haushalte gehen in die Berechnung voll mit ein, die Statistik wurde mit fragwürdigen Warenkorbelementen frisiert, der Kinderbedarf wurde nicht ermittelt, eine Prüfung auf Realitätsgerechtigkeit und Plausibilität fand nicht statt.

     

    Kurz: man hat sich den Wert passend gerechnet.

    Oder: Verfassung nach Kassenlage.

     

    Und die ?PD steigt darauf auch noch ein. Gibt den engagierten Verteidiger des Sozialstaats und hat dabei nichts besseres zu tun als die Hartz-IV-Empfänger in einem billigen Deal zu verschachern.

     

    Wie reagieren eigentlicht verarschte Verfassungsrichter?

     

    Wir werden es sehen. Demnächst, in Karlsruhe.

  • A
    Antonio

    Unglaublich, Katastrophe, Unglück, Krampf. Her mit den 500,-€ Hartz 4 bar Kralle + Wohnung. Ich brauch Geld.

  • F
    FAXENDICKE

    An alle Hartzer, Rentner mit Grundsicherung und Aufstocker.

    Wie ich finde ist auch diese Regel nicht verfassungskonform. Wenn ihr euch schon nicht regelmäßig und in Massen auf die Strasse traut, gibt es immer noch die Möglichkeit zu klagen.

    Das kommt den Staat dann auch nicht billig. Eine Erhöhung um etwa 150 Euro wäre ja wohl das Mindeste, darunter ist ein menschenwürdiges Leben nicht einmal gefühlt möglich. Besser wäre natürlich Arbeit für alle bei einem Mindestlohn von 12,- Euro pro Stunde.

  • W
    witzig

    der no-name apfelsaft ist gerade um 30 cent teurer geworden, orangensaft um 20 cent. alle preise ziehen an. es wird monatelang um diesen witzbetrag diskutiert, aber immer nur die ausgaben des staates im blickfeld haltend. das verfassungsgericht haette sich vielleicht nochmal deutlicher ausdruecken duerfen, dass es hier um die grundlage der menschen geht. wenn fachleute solange rumrechnen, bis sie auf 5,00 euro kommen, dann sagt das schon alles. alle preise sind ordentlich gestiegen seit 2009. es lebe der aufschwungshype. und dann noch di monatelangen diskussionen im fernsehen von schlaurednern, wie man geld spart, wie man arbeit findet, wie man sich geistig fit haelt...(....)

    ich finde jetzt duerfen sich alle beteiligten mal eine runde schaemen.

  • H
    Hans

    Diese Erhöhung bringt leider nichts. Es ist weniger als der Kaufkraftverlust von Hartz-IV-Beziehern. Gerade Nahrungsmittel haben satt zugelegt. Aber es ist ja nach wie vor so, dass die Regierung den Bedarf nicht korrekt ermittelt, da können sie dann mit Minigeld durchkommen. Dennoch: Es wird jemand klagen und dann werden wir sehen, ob diese Regelung hier verfassungskonform ist oder nicht.

  • M
    Mirko

    Ein Schlag ins Gesicht.

  • E
    egal

    Na hoffentlich ist die SPD stolz darauf, wieder ein "Gesetz" mitgetragen zu haben, dass vom Bundesverfassungsgericht in Grund und Boden gestampft wird...

  • D
    daweed

    Ja dann, bis zur nächsten Verhandlung. In ca. einem Jahr.

    die Regelsätze sind willkürlicher, die Bildungsgutscheine ne Farce.