piwik no script img

Einheitsfets mit Riesen-PuppenGroßes Spektakel

Verzauberung auf Befehl: Unterwegs mit Großem Riesen und Kleiner Riesin an diesem Einheitswochenende.

Gigantische Puppe vor riesigem Publikum und unbedeutendem Kanzleramt Bild: ap

Seitdem der Palast der Republik vollständig abgerissen ist, wirkt das Zentrum Berlins noch leerer als zuvor. Es ist plötzlich Herbst, aber richtig; der lustige Bruder Wind weht über die Leere des Schlossplatzes. Die Erde bebt wie in dem klassischen Puhdys-Song von der "Reise zum Mittelpunkt der Erde", ein Loch hat sich im Asphalt aufgetan und wurde schnell von Ordnungskräften mit Absperrgittern gesichert. Es ist drei Uhr nachmittag.

Ein Brezelmann, mehrere Medienzombies und etwa 50 Neugierige haben sich um das Loch versammelt, aus dem alle zehn Minuten vielleicht Wasser erst bisschen, dann in stolzen, mehr als zehn Meter hohen Fontänen spritzt. Wenn Wasser spritzt, lachen die Leute; auch die, die nass gespritzt werden. Das scheint ein Naturgesetz zu sein.

Bekanntlich hatten Ungeheuer vor langer Zeit die Stadt zerteilt, Riesen-Onkel und Riesen-Nichte getrennt. Nun endlich hat der Onkel-Riese den schlafenden Geysir gefunden, der die Mauern zum Einsturz bringt und den nebst Marionettensteueraufbau bis zu 15 Meter hohen Riesen ermöglicht, sich wiederzufinden. So hat sich das Jean-Luc Courcoult, der Leiter der französischen Theatergruppe Royal de Luxe, ausgedacht. Paar Meter weiter, am Reichstag, verteilen Aktivisten Flugblätter zum Thema "Klassenkampf statt Wahlkampf - Gegen den Notstand der Republik". Die in der kommunistischen Klassenkampfrhetorik der 20er-Jahre abgefassten Flugblätter haben etwas Gespenstisches.

Vor dem Roten Rathaus begrüßt Klaus Wowereit die Kleine Riesin. Dann duscht sie. 1.000 Cams recken sich in der Spandauer Straße in die Höhe, als die Kleine Riesin ihren Regenmantel auszieht. Man hört die französischen Kommandos der "Liliputaner"; livrierter Marionettenspieler. Bewegungen werden geübt. Am wichtigsten das Wimpernklimpern. Der Wimpernklimpercontroller entspricht dem meiner Playstation. Ein Kollege von N 24 berichtet über "die Riesen, die die Stadt verzaubern". Das sagen alle Medienvertreter und so steht es auch im Beipackzettel der Veranstalter.

Als die Kleine Riesin Kniebeugen macht, gibt es Szenenapplaus. Die Begleitmusik der Royal-de-Luxe-Band klingt esomäßig mit Doors-Orgel-Einsprengseln. Tausend Leute sind wohl gekommen. Eine riesige, von einem ähnlichen Propagandaaufwand begleitete Glühbirne würde sicher auch eine begeisterte Gefolgschaft finden. Eine kulturgeschichtlich abgesicherte Prozession, die einem zehn Meter großen Penis folgte, würde dagegen wohl auf Ablehnung stoßen.

Am Rande gibt es einen Auffahrunfall von teurem Jeep und teurem Mercedes. Der Jeep verliert sein Nummernschild. Die Fahrer steigen aus. Kostet sicher 1.000 Euro. Hehe!

Am Bebelplatz hält die Kleine Riesin ein Mittagsschläfchen. Ein glücklich lächelnder Althippie bläst Seifenblasen in die Luft.

Nicht weit davon entfernt verbringt sie dann die Nacht. Der rbb sendet zustimmende Berichte, in denen Leute erzählen, wie toll es doch wäre, ihr beim Schlafen zuzuschauen.

Samstag

Das Einheitswetter ist zunächst mal kein Kaiserwetter. Auch nicht richtig schlimm, aber zunächst doch recht grau. Später gibts bisschen Sonne. Die Riesin war schon am Checkpoint Charlie gewesen. Mit mürrischen Gefühlen sucht man das hölzerne Kalb, dem die Menschen gedankenlos hinterherlaufen, und freut sich dann doch, als man sie von Weitem, in ihrem Boot sitzend, am Potsdamer Platz endlich sieht. Beschützer passen auf, dass die Zuschauer nicht in die Schiffsschraube geraten. Sonst gäbe es ja ein Blutbad. Eine Weile gibt es schöne Chansons vom Band. Am Holocaustdenkmal steigt die Riesin aus ihrem Schiffchen. Dazu gibt es Vivaldi. Auf den Jäckchen der Ordner steht "Steward". Wo mag der Große Riese wohl jetzt sein?

Ich fahre zum Festivalpressezentrum am Hauptbahnhof. Auf einem Tisch liegen Grippetabletten. Ich nehme stattdessen die Riesenwerbe- bzw. die Sonderseiten des Tagesspiegels mit, auf denen der Geschäftsführer des Sponsors Total erzählt, dass es sich bei der Geschichte des Mauerfalls und der von TOTAL-Deutschland um Parallelgeschichten handle, die wiederum der Riesen-Geschichte entsprächen. Und die Stadt verzaubern. Ich kann das mit dem "Verzaubern" nicht mehr hören! Jeder Zauberer weiß, dass der zu Verzaubernde ein wenig Platz um sich braucht oder als Kind auf Papas Schultern sitzen muss. Alles andere ist Lüge! Eine massensuggerierte Mitbürgerin schenkt mir ihr Feuerzeug.

Auf der Festmeile korrespondieren Fotografierverbotsschilder mit anderen, auf denen steht, dass man hier gefilmt wird. Zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor schläft der Riese.

Eine Gruppe junger Leute singt Lieder des Oktoberklubs. Einer trägt ein FDJ-Hemd: "Sag mir, wo du stehst …" Eine RTL-Moderatorin auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor versucht die Leute vergeblich zu irgendwas zu animieren. Um 15 Uhr hätte sich der Riese eigentlich bewegen sollen. Nichts passiert. Gelangweilt stehen wir herum und warten. Um Viertel vor vier sagt jemand, die große Puppe sei kaputt und müsse erst mal repariert werden. Das ist sozusagen der Einbruch des Humanen in das Spektakel.

Um zehn nach vier gehts dann doch weiter. Unter feenorientierter Musik beginnt sich der Riese zu bewegen. In echt sieht der Kopf des Riesen sehr grau, fast leichenhaft aus; auf den riesigen Leinwänden hat man warme Farben in sein Gesicht gemischt, als würde die Sonne scheine. In der Nähe des Riesen zu gehen ist kein Spaß; so guckt man sich das bejubelte Wiedersehen von Onkel und Nichte lieber auf der Leinwand an. Ein Techniker hat sich einen Spaß erlaubt: Kurzzeitig gibt es Michael Jacksons "Thriller" statt der Esorockmusik der Royal-de-Luxe-Band. Am Ende wirft Klaus Wowereit ein leicht peinliches "Hallo, Berlin" in die Menge.

Sonntag

Zu Land und zu Wasser verabschieden sich die beiden Riesen. Nicht zugestellte Briefe aus der Zeit des Kalten Krieges werden in die Menge geworfen. "Berlin ist eine Weltgefühlsgemeinschaft" steht in der BZ. Der Riesen-Vater Jean Luc Courcoult trägt eine lustige viereckige Brille, einen goldenen Lederhut und raucht eine nach der anderen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

3 Kommentare

 / 
  • EB
    Ein Brandenburger

    Eine gute Beschreibung eines sinnlosen Spektakels.

    Was mögen das für Leute sein, die mit solchen absurden Spielereien an die Teilung Deutschlands erinnern müssen. Wer mag das wohl bezahlt haben?

     

    Leider ist es der Krantechnik wieder nicht gelungen das Brandenburger Tor nachhaltig zu beschädigen damit es in Zukunft nicht ständig für fragwürdige Veranstaltungen missbraucht wird.

     

    Warum werden nicht für viel Geld restaurierte Kirchen oder Schlösser als Kulisse für derartigen Mummenschanz verwendet?

  • C
    Christian

    Struktur und Schreibstil des Textes sind mehr als beklagenswert.

  • G
    Gerd

    Hat Euch also nicht gefallen.

    Aha!