Eingeschränktes Kindeswohl: Achtzig Prozent positiv
In den Haaren von mehr als 60 Kindern methadonabhängiger Eltern wurden 2012 Spuren von Drogen gefunden. Aber welche Konsequenzen hatte das?
Zwischen 70 und 80 Prozent der Haarproben von Kindern methadonabhängiger Eltern, die die Bremer Sozialbehörde zur Untersuchung ins Charité-Krankenhaus in Berlin schickte und untersuchen ließ, sind positiv. Das musste der Bremer Senat auf Fragen der CDU einräumen. Was das bedeutet, war gestern Thema in der Bürgerschaft.
Das Amt für Soziale Dienste begleitet und kontrolliert die Eltern, die im staatlichen Methadon-Programm sind, also Ersatzdrogen erhalten. Wollen sie ihre Kinder behalten, müssen sie sich in Bremen in einem „Kontrakt“ verpflichten, neben dem Methadon keine illegalen Drogen zu konsumieren, also auf „Beigebrauch“ zu verzichten.
Die bremischen Sozialbehörden kontrollieren das nicht generell bei den rund 150 betroffenen Kindern, sondern nur in Verdachtsfällen. Im Jahre 2012 wurden Haarproben von 81 Kindern als „Verdachtsfälle“ getestet. Ihr sei es egal, ob die Drogenspuren durch direkten Kontakt in die Kinderhaare gekommen seien oder ob Eltern sogar ihren Kindern Drogen direkt zur Ruhigstellung verabreicht hätten, erklärte die CDU-Politikerin Sandra Ahrens in der Bürgerschaft erregt: „Kinder haben ein Recht darauf, in einem drogenfreien Umfeld aufzuwachsen.“
Bald acht Jahre ist es her, dass in Gröpelingen die Leiche des zweijährigen Kevin von der Polizei im Kühlschrank seines drogenabhängigen Vaters gefunden wurde – trotz Amtsvormundschaft und umfangreicher Hilfepläne der zuständigen Sozialbehörden. Wie viel sich seitdem geändert hat, das war die Frage.
Viel, betont die Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne). Aber was in den Fällen passiert ist, in denen im Jahr 2012 Drogenspuren gefunden wurden, das konnte sie nicht sagen. Informationen darüber lägen dem Senat nicht vor, heißt es in der Antwort des Senats. Auch der sozialpolitische Sprecher der SPD, Klaus Möhle, konnte gestern nur erklären, dass jeder Fall einer zu viel sei und dass es um die einzelnen Kinder gehe, nicht um Statistiken. Welche Konsequenzen das Amt aus den Haaranalysen zieht, konnte auch er nicht sagen.
Aus Bremerhaven gibt es etwas genauere Auskünfte: Im Jahre 2012 wurden Haarproben von neun Kindern untersucht, alle positiv. Offenbar waren die vom Amt verhängten Konsequenzen wenig erfolgreich – drei Mädchen, deren erneute Haarproben in 2013 wieder „positiv“ waren, wurden daraufhin den Eltern entzogen. In vier Fällen wurden „Besuchskontakte zu drogenabhängigen Bezugspersonen beschränkt“ – offenbar weil die Mütter behaupteten, die Drogen-Spuren seien bei solchen Besuchen in die Haare ihrer Kinder gekommen. Die Messmethoden sind heute so fein, dass schon ein Streicheln über den Kopf zur Übertragung signifikanter Spuren führen kann. Deswegen ist ein positives Testergebnis auch nur ein Hinweis darauf, dass es irgendwie Drogenkontakt gegeben haben muss.
Sandra Ahrens war mit den Senats-Antworten alles andere als zufrieden. Die Zahlen seien erschreckend. Und sie zitierte einen Hilferuf des Gesundheitsamtes Bremerhaven, in dem davor gewarnt wird, dass durch „langfristige Erkrankungen“ von MitarbeiterInnen in der Abteilung, die Hilfen für Kinder leisten soll, nur noch das Notwendigste getan werden kann – „verbunden mit der Sorge, dass auftretende Notsituationen nicht frühzeitig erkannt“ würden. Ausgerechnet die zehn Gröpelinger Kitas haben im vergangenen Jahr einen Aufruf unterschrieben, in dem sie darstellen, dass sie aufgrund der Vielzahl von Problemkindern personell nicht in der Lage seien, in Fällen drohender Kindeswohl-Gefährdung „präventiv“ zu handeln.
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