: Einer neuen Gefühligkeit entgegen
Eine unerwartete „Sex and Censorship“-Show von Penny Arcade in der UFA-Fabrik ■ Von Petra Kohse
Und dann erzählt sie diese Geschichte von dem Mann mit dem „intimacy problem“, der ihr noch nicht einmal sagen konnte, warum er sie verlassen hat. Und daß sie das heulende Elend kriegte, dann aber Gloria Gaynors „I will survive“ hörte, und daß es ihr dann wieder gut ging. Und daß wir alle „I will survive“ hören sollten. Und dann ertönt das tatsächlich, und die sechs männlichen und weiblichen erotic dancers holen das Publikum zum Tanzen auf die Bühne.
Allerspätestens hier ist klar, daß es sich bei Penny Arcades „Sex and Censorship“-Show um eine Love- and-Peace-Veranstaltung der 90er Jahre handelt, was allerdings durchaus provokativen Charakter hat. Denn in einer Zeit, in der sich Schwule seit langem kaum mehr von anderen Männern unterscheiden, in der Lesben immer häufiger auch Lippenstift verwenden (wie Arcade sagt), in einer Zeit also, in der Sexualität jeglicher Couleur kein gesellschaftliches Reizthema mehr ist, sind Gefühle das einzige, was auf einer Bühne regelrecht unanständig wirken kann. (Selbst-)Zensur findet mittlerweile abseits des Sexes statt. Natürlich ist das mit dem Mittanzen kitschig, aber „I will survive“ hat im Eigenversuch eingestandermaßen tatsächlich schon so manchen guten Dienst geleistet, und daß Liebe anarchistisch ist und deswegen „the most political act you can make“, ist ebenfalls nachprüfbar. Nur daß man sich mit solcherlei Erkenntnissen gemeinhin nicht an die Öffentlichkeit traut.
Wenn Penny Arcade allerdings über ihre 300 an Aids gestorbenen Freunde und Bekannten spricht und dazu das Licht runterfahren läßt, dann ist die gleich 300fache Betroffenheit aber doch sehr unangenehm, undistanziert, obszön gar, viel obszöner als der erotische Tanz und die komischen Plaudereien Arcades in der Rolle als Bordell-Telefonistin. Und genau damit hat sie dann sehr geschickt unsere Schamgrenze markiert.
In dieser „Sex and Censorship“- Show wird missionarisch einer neuen Gefühligkeit entgegengequasselt. Durchsetzt wird dies mit allerlei witzigen und bissigen Einlagen: Arcade fällt über sämtliche p.c.-Themen mit genüßlichem Abscheu her und freut sich hämisch, daß diese Welle gesellschaftlicher Vermassung im absoluten Tabu- Korsett jetzt auch bis nach Deutschland geschwappt ist. Wobei sie nicht versäumt, mit amerikanischer Überlegenheit darauf hinzuweisen, daß dies hierzulande ja eigentlich nichts Neues sei: „Hitler rose like a superstar on the back of a p.c.-movement.“
Da gäbe es dann vielleicht doch noch einiges auszudifferenzieren, aber Penny Arcade ist schon weiter, erzählt von ihrer Zeit als Zwölfjährige, wie sie das Jugendamt von der Straße holte, wie sie in eine Klosterschule kam und sich in eine Nonne verliebte, und von später, als sie als „faghag“, Tuntenmutter, glaubte, schwule Männer seien die besseren Menschen.
Das stimmt alles oder stimmt auch nicht, soll das Publikum wohl auch zum Dialog animieren, doch aus dem tropisch klimatisierten UFA-Theatersaal erhielt Penny Arcade nur wenige Zurufe. Die meisten noch, als sie im Dunkeln durch die Reihen lief, um so richtig dicht bei uns zu sein. Ein bißchen lebhafter hätte die Aufnahme der Berliner Premiere schon sein dürfen, aber Arcade hat sich selbst schon im Vorfeld zu stark auf die erotische Komponente festgelegt.
Da wurde extra eine Berliner „audition“ angesetzt, bei der Arcade noch zwei Go-go-TänzerInnen (Kaspar Kameleon und Talée) zu ihrem Team öffentlich dazuengagierte. Und daß Penny Arcade über den Zusammenhang von Sex und Politik räsonnieren und sagen würde, daß die Vorgänge in Bosnien und Ruanda wesentlich vulgärer wären als Sex im Fernsehen, war vorher ebenfalls hinlänglich bekannt. Vielleicht haben sich manche von der Show mehr Frivolität erwartet und wurden natürlich enttäuscht.
Mit den TänzerInnen kam keineswegs Rotlichtatmosphäre, sondern Sportlichkeit auf, und statt tabubrecherisch sind die Sex-Plaudereien eher allzu sinnfällig: „Leute, die ficken, denken wenigstens; die anderen denken nur ans Ficken.“ Daß Penny Arcade einem in anderen Szenen die eigene emotionale Peinlichkeitsgrenze aufzeigt, macht den eigentlichen Reiz der Show aus – eine Wirkung, auf die die Performerin selbst noch viel zuwenig setzt.
Am Ende steht sie dann auf der Bühne, nackt, mit einem transparenten Stars-and-Stripes-Schal um die Schultern, sprach darüber, daß wir einen neuen, einen lustvollen Feminismus brauchen, und las einen Brief vor und sprach und sprach und sagte zum Schluß, daß man mittlerweile hoffentlich vergessen hätte, daß sie keine Kleider anhabe. Das hatte man zwar nicht vergessen, denn es war schlicht egal, aber das mit dem Feminismus – da ist schon was dran.
Weitere Vorstellungen bis 7.8., täglich außer Mo., 21 Uhr, UFA- Fabrik, Viktoriastraße 13–16, Tempelhof.
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